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Ist was Tolles geschehen, so folgt allemal das noch Tollere. Theodor hatte sich von seinem Schmerz, seiner Verzweiflung so ziemlich erholt, und der joviale Rittmeister von B. vermochte so viel über ihn, daß er nicht allein, unerachtet er nach Mecklenburg reisen wollen, in Berlin blieb, sondern auch von seiner strengen Diät merklich nachließ. In die Stelle der Salami trat ein tüchtiger italienischer Salat und ein wohlbereitetes Beefsteak, in die Stelle des Jostischen Biers ein gutes Glas Portwein oder Madera. Da der Appetit sich darauf um ein Uhr noch nicht eingestellt, so wurde zwei Stündchen später in der Jagorschen Restauration nicht eben gar zu mäßig gegessen und ebenso getrunken. Das einzige, was der Rittmeister billigte, waren die frühen Spaziergänge nach dem Tiergarten, die er indessen in Spazierritte verwandelt wünschte. Des Barons seltsamer Zustand schien ihm nämlich von einer tiefen Hypochondrie herzurühren, und das Reiten hielt der Rittmeister für das beste Mittel dagegen, sowie überhaupt für ein Universalmittel gegen Beschwerden der verschiedensten Art. Zum Reiten wollte sich der Baron, des zwiefachen Unglücks, das er seit kurzer Zeit erlebt, und Schnüspelpolds Warnung eingedenk, durchaus nicht entschließen. - Von dem Baron konnte man aber wohl mit Recht behaupten, daß der Himmel ihm eben nicht den festesten Charakter verliehen und daß er, ein schwaches Rohr, dem andringenden Sturme sich beugen mußte, um nicht zu zerbrechen. So geschah es denn auch, daß er, als er einmal in der Jagorschen Restauration mit dem Rittmeister von B. gegessen und dieser nun ein paar gesattelte Pferde vorführen lassen, sich überreden ließ, das eine zu besteigen und mit dem Rittmeister nach Charlottenburg zu reiten. Ohne den mindesten Unfall ging alles glücklich vonstatten. Der Rittmeister konnte nicht aufhören, den Baron als den zierlichsten, geschicktesten Reiter zu rühmen, und dieser freute sich ganz ungemein, daß man auch nun diesem Vorzug, den ihm Natur und Kunst gegeben, Gerechtigkeit widerfahren lasse. Die Freunde tranken ganz gemütlich bei der Madame Pauli wohlbereiteten Kaffee und schwangen sich dann getrost wieder auf die Pferde. Wohl natürlich war es, daß der Rittmeister sich mühte, die eigentliche Ursache von Theodors seltsamem Betragen, von seiner durchaus veränderten Lebensweise zu erfahren, und ebenso natürlich, daß Theodor ihm darüber nichts Rechtes sagen konnte und durfte. Nur darüber ließ der Baron sich aus, daß an einem großen Ungemach, an einer Qual, die er leiden müsse (er meinte wohl die ihm von unsichtbarer Hand zugeteilten Ohrfeigen), niemand anders schuld sei als der alte Nathanael Simson und seine eroberungssüchtige Tochter. Der Rittmeister, dem beide, Vater und Tochter, längst ganz unausstehlich waren, begann wacker auf den alten Juden zu schimpfen, ohne zu wissen, was er denn dem Baron Arges angetan, und auch der Baron erhitzte sich immer mehr, so daß er zuletzt dem Bankier alles, was er erlitten, in die Schuhe schob und fürchterliche Rache beschloß. So ganz Grimm und Zorn, kam der Baron in die Nähe des Simsonschen Landhauses. - Die Freunde hatten nämlich den Weg über des Hofjägers Besitzung eingeschlagen und ritten die Straße neben den Landhäusern herab. Da erblickte der Baron im offnen Vestibüle des Landhauses eine Tafel, an der Nathanael Simson mit seiner Tochter und mehreren Gästen beim Dessert eines reichen Mittagsmahls saß. Schon war die Dämmerung stark eingebrochen, und es wurden eben Lichter gebracht. Da kam dem Baron ein großer Gedanke.»Tue mir«, sprach er leise zum Rittmeister,»tu mir den Gefallen und reite einmal langsam vorwärts, ich will hier mit einemmal allen bösen Streichen des arglistigen Juden und seiner aberwitzigen Tochter ein Ende machen.«-»Nur kein dummes Zeug, lieber Bruder, das dich wieder blamiert vor den Leuten«, warnte der Rittmeister und ritt, wie Theodor gewünscht, langsam die Straße herab. Nun näherte sich der Baron leise, ganz leise dem Gitter. Ein überhängender Baum versteckte ihn, daß ihn niemand aus dem Hause gewahren konnte. Hinein rief er mit einer Stimme, der er so viel Tiefdröhnendes, Schauerlich-Gespenstisches gab, als nur in seinen Kräften stand:»Nathanael Simson - Nathanael Simson - frißt du mit deiner Familie? Gift in deine Speise, verruchter Mauschel, es ist dein böser Dämon, der dir ruft!«- Diese Worte gesprochen, wollte der Baron schnell hineinspringen ins Gebüsch und so wahrhaft geisterartig verschwunden sein. Doch der Himmel hatte einen andern Ausgang des Abenteuers beschlossen. Plötzlich stätisch geworden, bockte und bäumte sich das Pferd, und alles Mühen des Barons, es aus der Stelle zu bringen, blieb ganz vergebens. Nathanael Simson hatte vor jähem Schreck Messer und Gabel fallen lassen - die ganze Gesellschaft schien erstarrt, der das Glas an den Mund gebracht, hielt es fest, ohne zu trinken, der ein Stück Kuchen in der Kehle, vergaß das Schlucken! Als nun aber das Trappeln und Schnaufen und Wiehern des Pferdes vernommen wurde, sprang alles auf vom Tische und rannte schnell ans Gitter.»Ei, ei, sind Sie es, Herr Baron? - Ei, schönen guten Abend, lieber Herr Baron - wollen Sie nicht lieber absteigen, vortrefflichster Dämon!«So schrie alles durcheinander, und das unmäßigste Gelächter erschallte, das jemals gehört worden, während der Baron, ganz Wut und Verzweiflung, sich vergebens abquälte, um sich zu retten aus dieser Traufe von Verhöhnung und tötendem Spott. Der Rittmeister, der den Lärm vernahm und sogleich ein neues Malheur seines Freundes vermutete, kam zurück. Sowie das Pferd des Barons ihn ansichtig wurde, war es, als sei plötzlich der Zauber gelöst, von dem es festgebannt, denn sogleich flog es mit dem Baron dem Leipziger Tore zu, und zwar in keinesweges wildem, sondern ganz anständigem Galopp, der Rittmeister verließ den Freund nicht, sondern galoppierte ihm treulich zur Seite.

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