Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Weil das alles zu wenig sei, antwortete Humboldt. Er stand kleingewachsen, aber aufrecht, mit leuchtenden Augen und leicht hängenden Schultern vor dem Schreibtisch seines Vorgesetzten. Und weil er jetzt endlich aufbrechen könne.

Zunächst ging es nach Weimar, wo sein Bruder ihn Wieland, Herder und Goethe vorstellte. Dieser begrüßte ihn als Bundesgenossen. Jeder Schüler des großen Werner finde in ihm einen Freund.

Er werde in die Neue Welt reisen, sagte Humboldt. Das habe er noch keinem verraten. Niemand werde ihn abhalten, und er rechne nicht damit, lebend zurückzukehren.

Goethe nahm ihn beiseite und führte ihn durch eine Flucht in unterschiedlichen Farben gestrichener Zimmer zu einem hohen Fenster. Ein großes Unterfangen, sagte er. Wichtig sei vor allem, die Vulkane zu erforschen, um die neptunistische Theorie zu stützen. Unter der Erde brenne kein Feuer. Das Innerste der Natur sei nicht kochende Lava. Nur verdorbene Geistet könnten auf solch abstoßende Gedanken verfallen.

Humboldt versprach, sich die Vulkane anzusehen.

Goethe verschränkte die Arme auf dem Rücken. Und nie solle er vergessen, von wem er komme.

Humboldt verstand nicht.

Er solle bedenken, wer ihn geschickt habe. Goethe machte eine Handbewegung in Richtung der bunten Zimmer, der Gipsabgüsse römischer Statuen, der Männer, die sich im Salon mit gedämpften Stimmen unterhielten. Humboldts älterer Bruder sprach über die Vorteile des Blankverses, Wieland nickte aufmerksam, auf dem Sofa saß Schiller und gähnte verstohlen. Von uns kommen Sie, sagte Goethe, von hier. Unser Botschafter bleiben Sie auch überm Meer.

Humboldt reiste nach Salzburg weiter, wo er sich das teuerste Arsenal von Meßgeräten zulegte, das je ein Mensch besessen hatte. Zwei Barometer für den Luftdruck, ein Hypsometer zur Messung des Wassersiedepunktes, ein Theodolit für die Landvermessung, ein Spiegelsextant mit künstlichem Horizont, ein faltbarer Taschensextant, ein Inklinatorium, um die Stärke des Erdmagnetismus zu bestimmen, ein Haarhygrometer für die Luftfeuchtigkeit, ein Eudiometer zur Messung des Sauerstoffgehaltes der Luft, eine Leydener Flasche zur Speicherung elektrischer Ladungen und ein Cyanometer zur Messung der Himmelsbläue. Dazu zwei jener unbezahlbar teuren Uhren, welche man seit kurzem in Paris anfertigte. Sie brauchten kein Pendel mehr, sondern schlugen die Sekunden unsichtbar, mit regelmäßig schwingenden Federn, in ihrem Inneren. Wenn man sie gut behandelte, wichen sie nicht von der Pariser Zeit ab und ermöglichten, indem man die Sonnenhöhe über dem Horizont ermittelte und dann Tabellen befragte, die Bestimmung des Längengrades.

Er blieb ein Jahr und übte. Et vermaß jeden Salzburger Hügel, er stellte täglich den Luftdruck fest, er kartographierte das magnetische Feld, prüfte Luft, Wasser, Erde und Himmelsfarbe. Er übte das Zerlegen und Zusammenbauen jedes Instruments, bis er es blind beherrschte, auf einem Bein stehend, bei Regen oder inmitten einer fliegenumschwärmten Kuhherde. Die Einheimischen hielten ihn für verrückt. Aber auch daran, er wußte es, mußte er sich gewöhnen. Einmal band er sich eine Woche lang den Arm auf den Rücken, um sich mit Unbill und Schmerz vertraut zu machen. Weil ihn die Uniform störte, ließ er sich eine zweite anmessen, die er auch nachts im Bett trug. Der ganze Kniff sei, sich nie etwas durchgehen zu lassen, sagte er zu Frau Schobel, seiner Zimmervermieterin, und bat um noch ein Glas der grünlichen Molke, vor der es ihn so ekelte.

Dann erst fuhr er nach Paris, wo sein Bruder jetzt als Privatmann lebte, um seine verwirrend klugen Kinder nach einem strengen, selbstentwickelten System zu erziehen. Seine Schwägerin konnte ihn nicht leiden. Er sei ihr unheimlich, sagte sie, seine Geschäftigkeit scheine ihr eine Form des Wahnsinns, überhaupt komme er ihr vor wie ein zur Karikatur verzerrtes Abbild ihres Gatten.

Ganz könne er ihr da nicht unrecht geben, antwortete dieser, und es sei ihm nie leichtgefallen, so vollständig verantwortlich zu sein für alle Torheiten des Bruders, sein Hüter gleichsam.

An der Akademie hielt Humboldt Vorlesungen über die Leitfähigkeit menschlicher Nerven. Er stand dabei, als im Nieselregen auf ausgetretenem Rasen vor der Stadt der letzte Abschnitt des Längengrades gemessen wurde, der Paris mit dem Pol verband. Als es vollbracht war, nahmen alle die Hüte ab und schüttelten einander die Hände: Ein Zehnmillionstel der Strecke würde, in Metall gefaßt, zur Einheit aller künftigen Längenmessungen werden. Man wollte es Meter nennen. Es erfüllte Humboldt stets mit Hochgefühl, wenn etwas gemessen wurde; diesmal war er trunken vor Enthusiasmus. Die Erregung ließ ihn mehrere Nächte nicht schlafen.

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