Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Das mache sie zu den Menschen, die am weitesten nach oben vorgedrungen seien. Keiner habe sich je so weit von der Meereshöhe entfernt.

Aber der Gipfel?

Mit oder ohne Gipfel, es sei der Weltrekord.

Er wolle auf den Gipfel, sagte Bonpland.

Ob er denn nicht die Schlucht sehe, schrie Humboldt. Sie seien beide nicht mehr bei Sinnen. Wenn sie jetzt nicht abstiegen, kämen sie nie zurück.

Man könnte, sagte Bonpland, auch einfach behaupten, man wäre oben gewesen.

Humboldt sagte, er wolle das nicht gehört haben. Er habe das auch nicht gesagt. Das sei der andere gewesen!

Überprüfen könne es ja keiner, sagte Humboldt nachdenklich.

Eben, sagte Bonpland.

Er habe das nicht gesagt, rief Humboldt.

Was gesagt, fragte Bonpland.

Sie sahen einander ratlos an.

Die Höhe sei notiert, sagte Humboldt dann. Die Gesteinsproben gesammelt. Jetzt schnell hinunter!

Der Abstieg dauerte lange. Sie mußten die Schlucht, über die sie vorhin die Schneebrücke gebracht hatte, in weitem Bogen umgehen. Doch die Sicht war jetzt klar, und Humboldt fand den Weg ohne Schwierigkeiten. Bonpland stolperte ihm nach. Seine Knie kamen ihm unverläßlich vor. Immer wieder war ihm, als ginge er in fließendem Wasser, und eine optische Brechung verschob seine Beine auf das lästigste. Auch verhielt der Stock in seiner Hand sich ungebührlich: Er schwang aus, stach in den Schnee, betastete Felsbrocken, ohne daß Bonpland etwas anderes tun konnte, als ihm zu folgen. Die Sonne stand bereits niedrig. Humboldt rutschte ein Schotterfeld hinab. Seine Hände und sein Gesicht waren aufgeschürft, sein Mantel zerrissen, doch das Barometer war ganz geblieben.

Der Schmerz habe auch sein Gutes, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Für den Moment sehe er wieder klar. Der Hund sei verschwunden.

Den Hund, sagte Bonpland, habe er wirklich nie leiden können.

Sie müßten es heute noch schaffen, sagte Humboldt. Die Nacht werde kalt. Sie seien verwirrt. Sie würden nicht überleben. Er spuckte Blut. Um den Hund tue es ihm leid. Den habe er geliebt.

Da sie gerade aufrichtig seien, sagte Bonpland, und man morgen alles auf die Höhenkrankheit schieben könne, wolle er wissen, was Humboldt dort auf der Schneebrücke gedacht habe.

Er habe sich das Nichtdenken befohlen, sagte Humboldt. Also habe er nichts gedacht.

Wirklich gar nichts?

Nicht das geringste.

Bonpland blinzelte in Richtung der allmählich verblassenden Bienenwabe. Zwei seiner Begleiter waren davongegangen. Einen mußte er noch loswerden. Vielleicht war das auch gar nicht nötig. Er hatte den Verdacht, daß er es selbst war.

Sie beide, sagte Humboldt, hätten den höchsten Berg der Welt bestiegen. Das werde bleiben, was auch immer in ihrem Leben noch geschehe.

Nicht ganz bestiegen, sagte Bonpland.

Unsinn!

Wer einen Berg besteige, erreiche die Spitze. Wer die Spitze nicht erreiche, habe den Berg nicht bestiegen.

Humboldt betrachtete schweigend seine blutenden Hände.

Dort auf der Brücke, sagte Bonpland, habe er auf einmal bedauert, als zweiter gehen zu müssen.

Das sei nur menschlich, sagte Humboldt.

Aber nicht bloß, weil der erste früher in Sicherheit sei. Ihm seien seltsame Vorstellungen gekommen. Wäre er der erste gewesen, etwas in ihm hätte gern der Brücke, sobald er hinüber gewesen wäre, einen Tritt versetzt. Der Wunsch sei stark gewesen.

Humboldt antwortete nicht. Er schien in eigene Gedanken versunken.

Bonplands Kopf tat weh, auch fühlte er wieder sein Fieber. Er war todmüde. Es würde lange dauern, bis er sich von diesem Tag erholt hätte. Wer weit reise, sagte er, erfahre viele Dinge. Ein paar davon über sich selbst.

Humboldt bat um Entschuldigung. Er habe leider nichts verstanden. Der Wind!

Bonpland schwieg ein paar Sekunden. Nichts Wichtiges, sagte er dankbar. Geschwätz, Gerede.

Na dann, sagte Humboldt mit unbewegtem Gesicht. Kein Grund zum Trödeln!

Zwei Stunden später stießen sie auf ihre wartenden Führer. Humboldt verlangte seinen Brief zurück und zerriß ihn sofort. In diesen Dingen dürfe man nicht nachlässig sein. Nichts sei peinlicher als ein Abschiedsschreiben, dessen Verfasser noch lebe.

Ihm sei es egal, sagte Bonpland und hielt sich den schmerzenden Kopf. Sie sollten den seinen behalten oder wegwerfen, sie könnten ihn auch abschicken.

In der Nacht schrieb Humboldt, zum Schutz gegen das Schneetreiben zusammengekauert unter einer Decke, zwei Dutzend Briefe, in denen er Europa die Mitteilung machte, daß von allen Sterblichen er am höchsten gelangt sei. Sorgfältig versiegelte er jeden einzelnen. Dann” erst schwanden ihm die Sinne.

Der Garten

Am späten Abend klopfte der Professor an die Tür des Herrenhauses. Ein junger, hagerer Diener öffnete und sagte, Graf von der Ohe zur Ohe empfange nicht.

Gauß bat ihn, den Namen zu wiederholen.

Der Diener tat es: Graf Hinrich von der Ohe zur

Ohe.

Gauß mußte lachen.

Der Diener betrachtete ihn mit einem Ausdruck, als

wäre er in einen Kuhfladen getreten. Die Familie des gnädigen Herrn heiße seit tausend Jahren so.

Перейти на страницу:

Похожие книги

Дети мои
Дети мои

"Дети мои" – новый роман Гузель Яхиной, самой яркой дебютантки в истории российской литературы новейшего времени, лауреата премий "Большая книга" и "Ясная Поляна" за бестселлер "Зулейха открывает глаза".Поволжье, 1920–1930-е годы. Якоб Бах – российский немец, учитель в колонии Гнаденталь. Он давно отвернулся от мира, растит единственную дочь Анче на уединенном хуторе и пишет волшебные сказки, которые чудесным и трагическим образом воплощаются в реальность."В первом романе, стремительно прославившемся и через год после дебюта жившем уже в тридцати переводах и на верху мировых литературных премий, Гузель Яхина швырнула нас в Сибирь и при этом показала татарщину в себе, и в России, и, можно сказать, во всех нас. А теперь она погружает читателя в холодную волжскую воду, в волглый мох и торф, в зыбь и слизь, в Этель−Булгу−Су, и ее «мысль народная», как Волга, глубока, и она прощупывает неметчину в себе, и в России, и, можно сказать, во всех нас. В сюжете вообще-то на первом плане любовь, смерть, и история, и политика, и война, и творчество…" Елена Костюкович

Гузель Шамилевна Яхина

Проза / Современная русская и зарубежная проза / Проза прочее