Ich schaute verblüfft auf. Ein stilles Wasser mit Ohren? Es war merkwürdig: Wirklich neu und bildkräftig im Ausdruck wurde der Mensch nur, wenn er schimpfte. Wie ewig gleichmäßig waren die Ausdrücke der Liebe – und wie wechselvoll dagegen war die Skala der Flüche!
»Katzen sind doch sehr saubere und schöne Tiere«, sagte ich.»Ich war übrigens eben in dem Zimmer. Es riecht nicht nach Katzen.«
»So?«erwiderte Frau Hasse feindselig und schob ihren Hut zurecht,»das kommt dann ja wohl auf die Nase an.
Aber ich denke nicht daran, noch was dazu zu tun! Soll er sich selbst die Möbel 'rüberschleppen! Ich gehe aus! Wenigstens das will ich von diesem Hundeleben haben!«
Sie stand auf. Ihr schwammiges Gesicht bebte derart vor Wut, daß der Puder herunterstäubte. Ich sah, daß sie ihre Lippen sehr rot bemalt hatte und überhaupt mächtig aufgedonnert war. Sie roch wie eine ganze Parfümerie, als sie hinausrauschte.
Ich blickte ihr verdutzt nach. Dann schaute ich mir noch einmal genau das Zimmer an. Ich überlegte, wo man Pats Möbel hinstellen könnte. Aber ich hörte bald damit auf. Pat hier, immer hier, bei mir – ich konnte mir das nicht vorstellen! Ich wäre auch nie auf den Gedanken gekommen, wenn sie gesund gewesen wäre. So aber – ich öffnete die Tür und maß den Balkon aus. Doch dann schüttelte ich den Kopf und ging in meine Bude zurück.
Sie schlief noch, als ich bei ihr eintrat. Ich setzte mich leise in einen Sessel neben das Bett, aber sie erwachte sofort.
»Schade, ich habe dich aufgeweckt«, sagte ich.
»Bist du die ganze Zeit hier gewesen?«fragte sie.
»Nein. Eben erst wiedergekommen.«
Sie dehnte sich und legte ihr Gesicht gegen meine Hand.»Das ist gut. Ich habe nicht gern, wenn man mir beim Schlafen zusieht.«
»Das kann ich verstehen. Ich habe es auch nicht gern. Ich wollte dir auch nicht zusehen. Ich wollte dich nur nicht wecken. Willst du noch ein bißchen schlafen?«
»Nein, ich bin ganz ausgeschlafen. Ich stehe gleich auf.«
Ich ging in das Zimmer nebenan, während sie sich anzog.
Es wurde draußen langsam dunkel. Aus einem offenen Fenster gegenüber quakte ein Grammophon den Hohenfriedberger Marsch. Ein Mann mit einer Glatze und mit Hosenträgern bediente den Apparat. Er ging im Zimmer hin und her und machte zu der Musik Freiübungen. Seine Glatze leuchtete aus dem Halbdunkel wie ein aufgeregter Mond. Ich sah gleichgültig zu. Ich fühlte mich stumpf und traurig.
Pat kam herein. Sie sah wunderschön aus, ganz frisch und gar nicht mehr abgespannt.»Du siehst glänzend aus«, sagte ich überrascht.
»Ich fühle mich auch gut, Robby. Als wenn ich eine ganze Nacht geschlafen hätte. So etwas wechselt rasch bei mir.«
»Ja, weiß Gott! Manchmal geht es so rasch, daß man kaum mitkommt.«
Sie lehnte sich an meine Schulter und sah mich an.»Zu rasch, Robby?«
»Nein. Höchstens bei mir zu langsam. Ich bin oft etwas langsam, Pat.«
Sie lächelte.»Langsam ist fest. Und fest ist gut.«
»Ich bin so fest wie ein Kork auf dem Wasser«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf.»Du bist viel fester, als du glaubst. Du bist überhaupt ganz anders, als du denkst. Ich habe selten jemand gesehen, der so über sich selber im Irrtum ist wie du.«
Ich ließ ihre Schulter los.
»Ja, Liebling«, sagte sie und nickte,»das ist wirklich so.
Und nun komm, wir wollen jetzt essen gehen.«
»Wohin wollen wir denn gehen?«fragte ich.
»Zu Alfons. Ich muß all das wiedersehen. Ich habe das Gefühl, als wäre ich eine Ewigkeit fortgewesen.«
»Gut!«sagte ich.»Aber hast du auch den richtigen Hunger dafür? Zu Alfons kann man nicht gehen ohne Hunger. Er wirft einen sonst 'raus.«
Sie lachte.»Ich habe sogar einen furchtbaren Hunger.«
»Dann los!«Ich war plötzlich sehr froh.
Der Einzug bei Alfons war triumphal. Er begrüßte uns, verschwand gleich darauf und kam wieder, einen weißen Kragen und eine grüngepunktete Krawatte umgebunden. Das hätte er beim deutschen Kaiser nicht gemacht. Er war auch selbst etwas verlegen über dieses unerhörte Zeichen von Dekadenz.
»Also, Alfons, was gibt es Gutes?«fragte Pat und stemmte beide Hände auf den Tisch.
Alfons schmunzelte, blies die Lippen auf und machte die Augen klein.»Sie haben Glück gehabt! Es gibt heute Krebse!«
Er trat einen Schritt zurück, um die Wirkung zu beobachten. Sie war erstklassig.»Dazu ein Glas jungen Moselwein«, flüsterte er verzückt und trat noch einen Schritt zurück. Er erntete stürmischen Beifall, merkwürdigerweise auch von der Tür her. Dort erschien nämlich mit wildem gelbem Haar und sonnenverbrannter Nase gerade der grinsende Schädel des letzten Romantikers.
»Gottfried?«schrie Alfons auf,»du? Persönlich? Mensch, was für ein Tag! Komm an meine Brust!«
»Jetzt kannst du was erleben«, sagte ich zu Pat.
Die beiden stürzten sich in die Arme. Alfons klopfte Lenz auf den Rücken, daß es klang, als wäre nebenan eine Schmiede.»Hans«, schrie er dann zu dem Kellner hinüber,»bring den Napoleon!«
Er schleppte Gottfried zur Theke. Der Kellner brachte eine große, verstaubte Flasche heran. Alfons schenkte zwei Gläser voll.
»Prost, Gottfried, du verdammter Schweinebraten!«