Es dauerte lange, bis der Mann an der Bühne seine Gitarre beiseite legte. Roger erhob sich schwankend. Drei WhiskeySour, noch dazu auf nüchternen Magen, hatten ihm stärker zugesetzt, als er angenommen hatte. Er trat zu dem Mann mit dem von grauen Fäden durchzogenen roten Bart.
»Mister Reddington?«
»Der Rote Harry, ja. Und wer sind Sie?«
»Roger Brooks. Von der
»Und?«
»Ich hab gehört, Sie hätten ein paar interessante Geschichten zu erzählen. Ich sammle Kriegsgeschichten. Was zu trinken?«
»Gern, aber ich werd in fünf Minuten abgeholt.« Reddington wandte sich der Bar zu. »Ein Bier, Millie.«
»Nur gegen bar.«
»Das geht auf meine Rechnung«, rief Roger zu ihr hinüber. »Wohl knapp bei Kasse, was,«
»Gegen Monatsende schon«, gab Harry zu. »Das Heer zahlt mir zwar was, aber ich hab beim Pokern ein bißchen Pech gehabt.«
»Verstehe.«
»Ich krieg auch Benzin«, sagte Harry, »aber nur zum eigenen Gebrauch. Verkaufen darf ich nichts davon.«
Sie setzten sich, und Roger betrachtete Harry eingehend, während er sein Notizbuch aufschlug.
Reddington zögerte für einen winzigen Augenblick. »Darf ich jemanden mitbringen?«
»Klar. Um wieviel Uhr paßt es Ihnen?«
»Halb acht wäre mir recht.«
Im
»Hübsch hier«, sagte Rosalee, »woher sie wohl die Lebensmittel bekommen?«
»Wahrscheinlich schaffen die Küchenbullen was beiseite«, sagte Roger.
Speisekarten gab es nicht, auf einer Tafel an der Wand waren die Preise verzeichnet.
»Ist er das?« Sie sah zur Tür. »Rote Haare hat er. Aber er bringt drei Leute mit.«
»Wundert mich kaum – Carlotta!« Mit einem Satz sprang Roger auf.
Breit lächelnd trat Carlotta Dawson auf ihn zu. »Nach dem, wie Harry dich beschrieb, dachte ich mir schon, daß du es bist.«
»Du wußtest, daß ich hier draußen bin und bist nicht zu mir gekommen?«
»Nein, das wußte ich nicht. Aber wir haben drinnen auch viel zu tun, Roger.« Sie senkte die Stimme, so daß niemand sonst sie hören konnte. »Ich nehme Wes’ Platz ein. Das bleibt aber ganz unter uns, Roger.
»Wir sind alle wohlauf. Ich habe gerade von Linda gehört. Sie sagt, Evelyn gehe es auch gut.«
»Prima. Harry, ich wußte gar nicht, was für berühmte Leute Sie kennen!«
»Ich hatte keine Ahnung, daß Sie einander kannten…«
»Roger und ich sind sozusagen Jugendfreunde«, sagte Carlotta.
»Hast du was von Wes gehört?«
»Nichts seit seiner Rundfunkansprache. Was denken die Leute über ihn, Roger? Halten sie ihn für einen Verräter?«
Er machte eine hilflose Handbewegung. »Ich habe nichts dergleichen gehört.«
»Ich auch nicht«, sagte Harry.
»Aber im Grunde halten sie ihn dafür?«
»Wer das tut, ist ein Trottel.«
»Solche gibt es immer«, sagte Harry.
»Harpanet – der Außerirdische, den Harry gefangengenommen hat – bestätigt, daß Wes die Wahrheit berichtet; sie behandeln Gefangene tatsächlich gut.«
»›Nach ihren Maßstäben‹«, warf Roger sarkastisch ein. »Das hat Wes glänzend formuliert, Carlotta. Jeder, der ihn kennt, hat ihn verstanden.«
»Vermutlich mach ich mir einfach zuviel Sorgen. Jedenfalls vielen Dank für die Einladung, ich bin schon viel zu lange da drinnen. Zeit, daß ich mich ein wenig ablenke. Wie schön, dich wiederzusehen, Roger.«
»Darf ich dir Rosalee vorstellen? Ich hab sie hier kennengelernt. Wir sind seitdem zusammen.«
»Hallo, Rosalee«, sagte Carlotta.
»Wollen wir uns nicht setzen? Harry hat versprochen, uns was vorzusingen.« Roger bat die Gäste, Platz zu nehmen. Millie hatte bereits einen weiteren Tisch herangeschoben und brachte Bier.
»Du hast damit gerechnet, daß er die Frau mitbringt«, flüsterte Rosalee Roger zu.
»Pst. Gehofft zumindest. Du hattest ja gesagt, daß Harry sie kennt.« Sie setzten sich. »Rosalee, ich kannte Carlotta schon als Schulmädchen.«
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Rosalee.« Der Rote Harry verbeugte sich. »Das hier ist Tim Lewis… und das Lucille Battaglia.« Roger erkannte in Lewis den Mann wieder, der Harry das Lied beigebracht hatte. Lucille war klein, dunkel und hübsch. Sie trug Uniform, dem Rangabzeichen nach war sie Corporal.
»Wann hört es bloß auf zu regnen?« stöhnte Roger.
»In etwa einem halben Jahr, hat unser Oberst gesagt«, erklärte Lucille. »Wenn wir Glück haben.«
»Ihr Oberst?«
»Lieutenant Colonel Crichton. Ich arbeite für sie.«
»Handelt es sich da etwa um Jenny?« wollte Roger wissen.
»Ja.« Carlotta lächelte. »Ich habe Lucille statt ihrer mitgebracht. Jenny konnte nicht.«
»Und jetzt ist sie ein hohes Tier! Da muß Sie ja Großes geleistet haben…«
Carlotta lächelte und schwieg.