»Liebe und Hunger – ihr Ziel ist das gleiche: zu wirken, damit das Leben nicht versiege – das eigene wie das fremde, – ja, das gesamte Leben.«
Dem Andenken an Fräulein J. P. Wrewskaja
Im Schmutz, auf übelriechendem, fauligem Stroh, unter dem Dach eines baufälligen Schuppens, der in notdürftiger Hast inmitten eines verwüsteten bulgarischen Dörfchens zu einem Feldlazarett hergerichtet worden war – erlag sie in zwei langen Wochen dem Typhus. Sie war völlig bewußtlos – und nicht ein einziger Arzt sah nach ihr; die kranken Soldaten, die sie gepflegt hatte, solange sie sich auf den Füßen hatte halten können – erhoben sich der Reihe nach von ihrer verseuchten Lagerstatt, um in der Scherbe eines zerschlagenen Kruges einige Tropfen Wasser an ihre brennenden Lippen zu bringen.
Sie war jung und schön; die vornehme Welt stand ihr offen; selbst die höchsten Würdenträger wandten ihr ihre Aufmerksamkeit zu. Die Frauen beneideten sie, die Männer machten ihr den Hof... zwei oder drei von diesen waren in geheimer, tiefer Liebe zu ihr entbrannt. Das Leben lächelte ihr; doch es gibt ein Lächeln, das schlimmer ist als Tränen.
Sie hatte ein Herz voll Sanftheit und Güte... dabei aber von einer Kraft, einer Opferfreudigkeit! – Den Bedrängten Hilfe zu leisten... ein anderes Glück kannte sie nicht... kannte sie nicht – und lernte sie nicht kennen. Alles andere Glück ging an ihr vorüber. Doch darein hatte sie sich längst ergeben – und mit dem heiligen Feuer unerschütterlichen Glaubens weihte sie sich dem Dienste ihrer Mitmenschen. Welche unvergänglichen Schätze sie dort im geheimsten, tiefsten Grunde ihrer Seele bewahrte, das hat niemand je gewußt – und kann jetzt freilich niemand mehr erfahren.
Wozu auch? Das Opfer ist gebracht... das Werk ist vollendet.
Allein, es ist schmerzlich, denken zu müssen, daß niemand wenigstens ihrer sterblichen Hülle Dank sagte, obschon sie selbst in edler Scham sich jeder Dankesbezeugung entzog.
Möge ihr teurer Schatten mir nicht zürnen, wenn ich dieses kleine, verspätete Blümlein auf ihr Grab zu legen wage!
Der Egoist
Er besaß alle erforderlichen Eigenschaften, um die Geißel seiner Familie zu werden.
Von klein auf gesund und reich – und gesund und reich sein ganzes langes Leben hindurch, beging er nie einen einzigen Fehltritt, verfiel nie in einen Irrtum, versprach und versah sich nicht ein einziges Mal.
Er war ein tadelloser Ehrenmann!... Und stolz im Bewußtsein seiner Ehrenhaftigkeit, knechtete er damit alle seine Angehörigen, seine Freunde, seine Bekannten. Seine Ehrenhaftigkeit war ihm ein Kapital... und er nahm Wucherzinsen davon.
Seine Ehrenhaftigkeit gab ihm das Recht, erbarmungslos zu sein und nie aus freien Stücken Gutes zu tun; – und darum war er erbarmungslos – und tat nie Gutes... denn das Gute auf Befehl – ist nicht das Gute. Niemals kümmerte er sich um jemand anders als um seine eigene, so überaus musterhafte Person und war innerlich empört, wenn die anderen sich nicht ebenso eifrig um diese bekümmerten.
Und bei alledem hielt er sich nicht für einen Egoisten – und verurteilte und verfolgte am allerschärfsten die Egoisten und den Egoismus! – Das wäre auch! Fremder Egoismus behinderte ja seinen eigenen!
Für seine Person sich nicht der geringsten Schwäche bewußt, begriff und duldete er solche auch nicht bei anderen. Er begriff überhaupt niemanden und nichts, denn überall, von allen Seiten, unten und oben, hinten und vorn war er von seinem eigenen Selbst eingeschlossen.
Er begriff nicht einmal, was Vergeben heißt. Sich selbst etwas zu vergeben, dazu bot sich ihm nie ein Anlaß... Aus welchem Grunde sollte er dann den anderen vergeben?
Vor dem Richterstuhl seines eigenen Gewissens, vor dem Angesicht seiner eigenen Gottheit – da pflegte er, dieses Wunderwesen, dieser Ausbund von Tugend, die Augen gen Himmel zu erheben und mit fester und klarer Stimme auszusprechen: »Ja, ich bin ein würdiger, ein moralischer Mensch!«
Noch auf seinem Sterbelager wird er diese Worte wiederholen – und selbst dann wird nichts sich regen in seinem steinernen Herzen – in diesem Herzen ohne Makel und Fehl.
O Scheusal der selbstzufriedenen, unbeugsamen, wohlfeilen Tugend – schwerlich kannst du überboten werden von dem nackten Scheusal des Lasters!
Das Fest beim höchsten Wesen
Einstmals beschloß das höchste Wesen, in seinem azurblauen Himmelspalast ein Fest zu geben. Sämtliche Tugenden waren von ihm zu Gaste gebeten. Aber nur die weiblichen... Herren waren nicht geladen... bloß Damen.
Sie hatten sich sehr zahlreich eingefunden – die großen wie die kleinen. Die kleinen Tugenden waren ein wenig zuvorkommender und liebenswürdiger als die großen; doch schienen alle sehr befriedigt – und man unterhielt sich in der artigsten Weise, wie es sich für so nahe Verwandte und Bekannte eben schickt. Mit einem Male bemerkte das höchste Wesen zwei schöne Damen, die sich gegenseitig gar nicht zu kennen schienen.