»Schau mal!«Hermine griff nach einem zusammengerollten Blatt Papier, das neben den Flaschen lag. Harry sah ihr über die Schulter und las:
Die Gefahr liegt vor euch, die Rettung zurück,
Zwei von uns helfen, bei denen habt ihr Glück,
Eine von uns sieben, die bringt euch von dannen,
Eine andere führt den Trinker zurück durch die Flammen,
Zwei von uns enthalten nur guten Nesselwein,
Drei von uns sind Mörder, warten auf eure Pein.
Wählt eine, wenn ihr weiterwollt und nicht zerstäuben hier.
Euch helfen sollen Hinweis' – und davon ganze vier:
Erstens: so schlau das Gift versteckt mag sein,
's ist immer welches zur Linken vom guten Nesselwein;
Zweitens: die beiden an den Enden sind ganz verschied'ne Leut,
doch wenn ihr eine weitergeht, so ist keine davon euer Freund;
Drittens: wie ihr deutlich seht, sind alle verschieden groß.
Doch weder der Zwerg noch der Riese enthalten euren Tod.
Viertens: die zweite von links und die zweite von rechts werden Zwillinge sein,
so verschieden sie schauen auf den ersten Blick auch drein.
Hermine seufzte laut auf und Harry sah verblüfft, daß sie lächelte, das Letzte, wonach ihm zumute war.
»Ausgezeichnet«, sagte Hermine.»Das ist nicht Zauberei, das ist Logik, ein Rätsel. Viele von den größten Zauberern haben keine Unze Logik im Kopf, die säßen hier für immer in der Falle.«
»Aber wir doch auch, oder?«
»Natürlich nicht«, sagte Hermine.»Alles, was wir brauchen, steht hier auf diesem Papier. Sieben Flaschen: drei enthalten Gift; zwei Wein; eine bringt uns sicher durch das schwarze Feuer und eine bringt uns zurück durch das purpurne.«
»Aber woher sollen wir wissen, welche wir trinken müssen?«
»Gib mir eine Minute Zeit.«
Hermine las das Papier mehrmals durch. Dann ging sie vor den Flaschen auf und ab, vor sich hin murmelnd und auf sie deutend. Schließlich klatschte sie in die Hände.
»Ich hab's«, sagte sie.»Die kleinste Flasche bringt uns durch das schwarze Feuer, zum Stein.«
Harry musterte die kleine Flasche.
»Sie reicht nur für einen«, sagte er.»Das ist kaum ein Schluck.«
Sie sahen sich an.
»Welche führt zurück durch die Purpurflammen?«
Hermine deutete auf eine bauchige Flasche am einen Ende der Reihe.
»Die trinkst du«, sagte Harry.»Nein, hör zu, geh zurück und nimm Ron mit, schnappt euch zwei Besen aus dem Raum mit den fliegenden Schlüsseln, die bringen euch durch die Falltür und an Fluffy vorbei; fliegt sofort in die Eulerei und schickt Hedwig zu Dumbledore, wir brauchen ihn. Vielleicht kann ich Snape eine Weile hinhalten, aber im Grunde kann ich es nicht mit ihm aufnehmen.«
»Aber, Harry, was ist, wenn Du-weißt-schon-wer bei ihm ist?«
»Tja, das letzte Mal hab ich Glück gehabt«, sagte Harry und deutete auf seine Narbe.»Vielleicht hab ich ja noch mal Glück.«
Hermines Lippen zitterten und plötzlich rannte sie auf Harry zu und warf die Arme um ihn.
»Hermine!«
»Harry, du bist ein großer Zauberer, das weißt du.«
»Ich bin nicht so gut wie du«, sagte Harry ganz verlegen. Sie ließ ihn los.
»Wie ich?«, sagte Hermine.»Bücher! Schlauheit! Es gibt wichtigere Dinge – Freundschaft und Mut und – o Harry, sei vorsichtig!«
»Trink du zuerst«sagte Harry.»Du bist dir sicher, was wo drin ist?«
»Vollkommen«, sagte Hermine. Sie nahm einen großen Schluck aus der runden Flasche und erschauderte.
»Es ist kein Gift?«, sagte Harry beängstigt.
»Nein, aber es ist wie Eis.«
»Schnell, geh, bevor es nachläßt.«
»Viel Glück, paß auf dich auf -«
»GEH!«
Hermine wandte sich um und ging geradewegs durch das purpurne Feuer.
Harry holte tief Luft und nahm die kleinste Flasche in die Hand. Er wandte sich den schwarzen Flammen zu.
»Ich komme«, sagte er und leerte die kleine Flasche mit einem Zug.
Es war wirklich wie Eis, das seinen Körper durchströmte. Er stellte die Flasche zurück, nahm all seinen Mut zusammen und machte sich auf; er sah die schwarzen Flammen an seinem Körper hochzüngeln, doch er spürte sie nicht. Einen Moment lang konnte er nichts sehen außer dunklem Feuer, dann war er auf der anderen Seite, in der letzten Gruft.
Jemand war schon da, doch es war nicht Snape. Es war auch nicht Voldemort.
Der Mann mit den zwei Gesichtern
Es war Quirrell.
»Sie!«, stieß Harry hervor.
Quirrell lächelte. Kein Zucken war mehr in seinem Gesicht.
»Ja, ich«, sagte er gelassen.»Hab mir schon halb gedacht, daß ich Sie hier treffen würde, Potter.«
»Aber ich dachte – Snape -«
»Severus?«Quirrell lachte und es war nicht sein übliches zittrig schrilles Lachen, es war kalt und scharf.»ja, Severus scheint der richtige Mann dafür zu sein, nicht wahr? Recht nützlich, daß er umherschwirrt wie eine zu groß geratene Fledermaus. Wer würde neben ihm den a-a-armen st-stotternden P-Professor Quirrell verdächtigen?«
Harry konnte es nicht fassen. Das durfte einfach nicht wahr sein.
»Aber Snape hat versucht mich umzubringen!«