«Was geht vor in Deinem Gemüt, Hedwiga, indem du mich so frägst?«so begann Julia sehr ernst und gefaßt.»Was ist Dir die Liebe, von der Du sprichst? Nicht wahr, man soll sich hingezogen fühlen zu dem Geliebten, mit solcher unwiderstehlichen Macht, daß man nur ist, nur lebt in dem Gedanken an ihn, daß man sein ganzes Ich aufgibt um ihn, daß er allein uns alles Sehnen, alles Hoffen, alles Verlangen, die ganze Welt dünkt? Und diese Leidenschaft soll die höchste Stufe der Seligkeit gewähren? – Mich schwindelts vor dieser Höhe, denn dem Blick hinab gähnt der bodenlose Abgrund, mit allen Schrecknissen des rettungslosen Verderbens, entgegen. Nein, Hedwiga, diese Liebe, die ebenso entsetzlich ist, als sündhaft, hat dies Gemüt nicht erfaßt, und fest will ich halten an dem Glauben, daß es ewig rein, ewig davon frei bleiben wird. Doch wohl mag es sich begeben, daß ein Mann vor allen übrigen in uns die höchste Achtung, ja, bei der männlich eminenten Kraft seines Geistes wahre Bewunderung erregt. Doch noch mehr als das, wir fühlen uns in seiner Nähe von einem gewissen, gemütlichen Wohlbehagen geheimnisvoll durchströmt, erhoben über uns selbst, es scheint, als wenn unser Geist dann erst recht erwache, als wenn uns das Leben dann erst recht leuchte, und so sind wir froh, wenn er kommt, und traurig, wenn er geht. – Nennst Du dieses Liebe? – Nun warum sollte ich es Dir nicht gestehen, daß unser verlorner Kreisler mir dies Gefühl erweckt hat, und daß ich ihn schmerzhaft vermisse.«
«Julia«, rief die Prinzessin plötzlich auffahrend und Julien mit glühendem Blick durchbohrend,»kannst Du ihn Dir denken in den Armen einer andern, ohne zu vergehn in namenloser Qual?«
Hoch errötete Julia, und mit einem Ton, der erkennen ließ, wie sehr sie sich verletzt fühlte, erwiderte sie:»Nie habe ich ihn mir gedacht in meinen Armen!«—
«Ha! – Du liebst ihn nicht – Du liebst ihn nicht! «– so schrie die Prinzessin gellend auf, und sank dann wieder zurück in dem Sofa!
«O«, sprach Julia,»o daß er wiederkehrte! – Rein und schuldlos ist das Gefühl, das ich für den teuern Mann hege in dieser Brust, und sehe ich ihn niemals wieder, so wird der Gedanke an ihn, den Unvergeßlichen, in mein Leben hineinleuchten, wie ein schöner, heller Stern. – Doch gewiß, er kehrt zurück! – Denn wie kann – «
«Niemals«, unterbrach die Prinzessin Julien mit schroffem, schneidendem Ton,»kann, darf er wiederkehren, denn wie man vernimmt, befindet er sich in der Abtei Kanzheim und wird, sich der Welt entziehend, in den Orden des heiligen Benedikt treten.«
Julien kamen die hellen Tränen in die Augen, sie stand schweigend auf und begab sich an das Fenster.
«Deine Mutter hat recht, ganz recht«, fuhr die Prinzessin fort.»Wohl uns, daß er fort ist, dieser Wahnsinnige, der sich wie ein böser Geist eindrängte in unseres Herzens Rat, der uns in unserm eignen Innern zu zerreißen wußte. – Und die Musik war das Zaubermittel, mit dem er uns umstrickte. – Nie mag ich ihn wiedersehen.«—
Dolchstiche waren für Julien die Worte der Prinzessin, sie griff nach Hut und Shawl.
«Du willst mich verlassen, meine süße Freundin?«rief die Prinzessin. -»Bleibe – bleibe – tröste mich, wenn Du kannst! – Unheimliches Grauen geht durch diese Säle, durch den Park! denn wisse«– Damit führte Hedwiga Julien an das Fenster, zeigte nach dem Pavillon hin, in dem der Adjudant des Prinzen Hektor gewohnt hatte, und begann mit dumpfer Stimme:»Schau dort hin, Julia, jene Mauern verbergen ein bedrohliches Geheimnis; der Kastellan, die Gärtner, beteuern, daß seit der Abreise des Prinzen niemand dort wohne, daß die Türe fest verschlossen, und doch – O schau nur hin – schau nur hin! – Siehst Du es nicht am Fenster?«
In der Tat gewahrte Julia an dem Fenster, das in dem Giebel des Pavillons angebracht war, eine dunkle Gestalt, die in demselben Augenblicke wieder schnell verschwand.
Hier dürfe, meinte Julia, indem sie fühlte, wie Hedwiga's Hand krampfhaft in der ihrigen bebte, von einem bedrohlichen Geheimnis, oder gar von etwas Gespenstischem durchaus nicht die Rede sein, da es nur zu leicht möglich, daß irgend jemand von der Dienerschaft den leeren Pavillon unbefugter Weise benutze. Der Pavillon könne ja augenblicklich durchsucht und so auf der Stelle aufgeklärt werden, was es mit der Gestalt, die sich am Fenster blicken lasse, für eine Bewandtnis habe, die Prinzessin versicherte aber dagegen, daß der alte, treue Kastellan dies längst auf ihren Wunsch getan und beteuert, daß er in dem ganzen Pavillon auch nicht die Spur eines menschlichen Wesens gefunden.