«Laß es dir erzählen«, sprach die Prinzessin,»was sich vor drei Nächten begab! – Du weißt, daß mich oft der Schlaf flieht, und daß ich dann aufzustehen, und so lange durch die Zimmer zu wandeln pflege, bis mich eine Müdigkeit überfällt, der ich mich überlasse, und es wirklich zum Einschlafen bringe. So geschah es, daß mich vor drei Nächten Schlaflosigkeit in dies Zimmer trieb. Plötzlich zitterte der Widerschein eines Lichts an der Wand vorüber, ich schaute durch das Fenster, und gewahrte vier Männer, von denen einer eine Blendlaterne trug, und die in der Gegend des Pavillons verschwanden, ohne daß ich bemerken konnte, ob sie wirklich hineingingen in den Pavillon. Nicht lange dauerte es aber, so wurde eben jenes Fenster hell und Schatten huschten inwendig hin und her. Dann wurde es wieder finster, aber durch das Gebüsch strahlte nun bald ein blendender Schimmer, der aus der Türe des geöffneten Pavillons kommen mußte. Immer mehr näherte sich der Schein, bis endlich aus dem Gebüsch ein Benediktiner-Mönch heraustrat, der in der linken Hand eine Fackel, in der rechten aber ein Kruzifix trug. Ihm folgten vier Männer, eine mit schwarzen Tüchern behängte Bahre auf den Schultern. Nur einige Schritte waren sie gezogen, als ihnen eine in einen weiten Mantel eingehüllte Gestalt entgegentrat. Sie standen still, setzten die Bahre nieder, die Gestalt zog die Tücher weg, und ein Leichnam wurde sichtbar. Mir wollten die Sinne vergehn, kaum gewahrte ich noch, daß die Männer die Bahre aufhoben und dem Mönche nacheilten auf dem breiten Seitenwege, der bald zum Park hinausführt auf die Straße nach der Abtei Kanzheim. Seit dieser Zeit läßt sich jene Gestalt am Fenster sehen, und vielleicht ist es der Spuk eines Ermordeten, der mich ängstigt.«
Julia war geneigt, den ganzen Vorgang, wie ihn Hedwiga erzählte, für einen Traum, oder, stand sie in der Tat wach am Fenster, für das täuschende Spiel der aufgeregten Sinne zu halten. Wer sollte, wer konnte der Tote sein, den man unter solchen geheimnisvollen Umständen aus dem Pavillon forttrug, da niemand vermißt worden, und wer mochte daran glauben, daß dieser unbekannte Tote noch spuken solle in der Behausung, aus der man ihn fortgebracht? Julia äußerte dieses alles der Prinzessin und fügte noch hinzu, daß jene Erscheinung am Fenster auch wohl auf optischer Illusion beruhen, auch wohl gar ein Scherz des alten Magikers, Meister Abraham sein könne, der ja oft sein Wesen treibe mit solchem Spiel und vielleicht dem leeren Pavillon einen gespenstischen Einsassen gegeben habe.
«Wie«, sprach die Prinzessin, die ihre ganze Fassung wiedergewonnen, sanft lächelnd,»wie man doch gleich mit der Erklärung bei der Hand ist, geschieht das Wunderbare, Übernatürliche! – Was den Toten betrifft, so vergissest Du das, was sich in dem Park begab, ehe Kreisler uns verließ.«—»Um Gott«, rief Julia,»sollte denn wirklich eine gräßliche Tat begangen sein? – Wer? – von wem?«—
«Du weißt ja, Mädchen, daß Kreisler lebt«, fuhr Hedwiga fort.»Aber auch er lebt, der in Liebe ist zu Dir – Sieh mich nicht so erschrocken an! – Solltest Du das nicht längst ahnen, was ich Dir sagen muß, damit Dir es klar werde, was, länger verborgen, Dich verderben könnte? – Prinz Hektor liebt
«O ewige Macht«, rief Julia heftig, indem ihr die Tränen aus den Augen stürzten,»Hedwiga, willst Du denn meine Brust zerreißen? – Welcher finstre Geist spricht aus Dir! – Nein, nein, gern will ich es leiden, daß Du aller bösen Träume halber, die Dich verstörten, an mir Ärmsten Rache nimmst, aber nie werde ich an die Wahrheit dieser bedrohlichen Phantome glauben! – Hedwiga! – besinne Dich doch nur, Du bist ja nicht mehr die Braut des entsetzlichen Mannes, der uns erschien, wie das Verderben selbst! Nie kehrt er zurück, niemals wirst Du sein!«
«Doch«, erwiderte die Prinzessin,»doch! – Fasse Dich nur, Mädchen! – Nur dann, wenn die Kirche mich mit dem Prinzen verbunden, löst sich vielleicht das ungeheure Mißverständnis des Lebens, das mich elend macht!«– Dich rettet des Himmels wunderbare Fügung. – Wir trennen uns, ich folge dem Gemahl, Du bleibst!«– Die Prinzessin verstummte vor innerer Bewegung, auch Julia war keines Wortes mächtig, beide fielen sich schweigend, in Tränen zerfließend, an die Brust!
Man meldete, daß der Tee serviert sei. Julia war aufgeregter, als es ihr besonnenes, ruhiges Gemüt zuzulassen schien. Es war ihr unmöglich, in der Gesellschaft zu bleiben, und die Mutter erlaubte ihr gern, nach Hause zu gehen, da die Prinzessin sich ebenfalls nach Ruhe sehnte.