«Ein Komponist wurde von jemanden gefragt«, sprach Kreisler sanft lächelnd,»wie er es denn anfange, daß seine geistlichen Kompositionen durchaus andächtige Begeisterung atmeten. ›Wenn es‹, erwiderte darauf der fromme kindliche Meister, ›mit dem Komponieren nicht so recht fort will, so bete ich im Zimmer auf und ab gehend einige Ave und dann kommen mir die Ideen wieder.‹ Derselbe Meister sagte von einem andern großen geistlichen Werk: ›Erst als ich zur Hälfte in meiner Komposition vorgerückt war, merkte ich, daß sie geraten wäre; ich war auch nie so fromm als während der Zeit, da ich daran arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder, und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möge.‹ – Mich will bedünken, ehrwürdiger Herr, als wenn weder dieser Meister noch der alte Palästrina sich um Sündhaftes bemüht, und daß nur ein in aszetischer Verstocktheit erkaltetes Herz nicht zu der höchsten Frömmigkeit des Gesanges entflammt werden kann.«
«Menschlein, wer bist Du denn«, fuhr der Mönch zornig auf,»daß ich mit Dir, der Du Dich hinwerfen müßtest in den Staub, rechten soll? – Fort aus der Abtei, damit Du nicht länger das Heilige verstörst!«—
Tief empört über des Mönchs gebieterischen Ton, rief Kreisler heftig:»Und wer bist Du denn, wahnsinniger Mönch, daß Du Dich erheben willst über alles was menschlich? – Bist Du frei geboren von der Sünde? – Hast Du nie über Gedanken der Hölle gebrütet? Bist Du nie ausgewichen auf dem schlüpfrigen Pfad, den Du wandeltest? Und wenn die heilige Jungfrau Dich wirklich gnadenvoll dem Tode entriß, den Du vielleicht irgendeiner grauenvollen Tat verdanktest, so geschah es, daß Du in Demut Deine Sünde erkennen und sie büßen, nicht aber mit freveliger Prahlerei Dich der Gnade des Himmels, ja der heiligen Krone rühmen solltest, die Du niemals erwerben wirst.«
Der Mönch stierte Kreislern an mit Tod und Verderben sprühenden Blicken, indem er unverständliche Worte lallte.
«Und stolzer Mönch«, fuhr Kreisler fort mit steigendem Affekt,»als Du noch diesen Rock trugst – «
Damit hielt Kreisler das Bild, das er vom Meister Abraham erhalten, dem Mönch vor Augen; doch sowie dieser es erblickte, schlug er sich wie in wilder Verzweiflung mit beiden Fäusten vor die Stirn, und stieß einen herzzermalmenden Schmerzenslaut aus, als träfe ihn ein Todesstreich.
«Fort mit Dir aus der Abtei, Du verbrecherischer Mönch!«– rief nun Kreisler. -»Hoho mein Heiliger, wenn Du vielleicht auf den Hühnerdieb stößest, mit dem Du in Gemeinschaft, so sage ihm, Du könntest und wolltest ein andermal mich nicht wieder schützen, doch solle er sich in acht nehmen, und von meiner Kehle wegbleiben, sonst würde ich ihn spießen wie eine Lerche oder wie seinen Bruder, denn aufs Spießen – «Kreisler entsetzte sich in diesem Augenblick vor sich selber; der Mönch stand vor ihm starr, regungslos, noch immer beide Fäuste vor die Stirn gedrückt, keines Wortes, keines Lautes mächtig, es war Kreislern, als rausche es im nahen Gebüsch, als werde gleich der wilde Giuseppo auf ihn losstürzen. Er rannte von dannen, die Mönche sangen eben im Chor die Abendhora, und Kreisler begab sich in die Kirche, weil er hoffte, dort sein tief aufgeregtes, tief verletztes Gemüt zu beruhigen.
Die Hora war geendet, die Mönche verließen den Chor, die Lichter verlöschten. Kreislers Sinn hatte sich zu den alten frommen Meistern gewendet, deren er in dem Streit mit dem Mönch Cyprianus gedacht. – Musik – fromme Musik war aufgegangen in ihm, Julia hatte gesungen und nicht mehr brauste der Sturm in seinem Innern. Er wollte fort durch eine Seitenkapelle, deren Türe in den langen Gang ging, welcher zu einer Treppe und hinauf in sein Zimmer führte.
Als Kreisler in die Kapelle trat, erhob sich ein Mönch mühsam vom Boden, auf dem er ausgestreckt vor dem wundertätigen Marienbilde gelegen hatte, das dort aufgestellt war. In dem Schein der ewigen Lampe erkannte Kreisler den Mönch Cyprianus, aber matt und elend schien er eben aus einer Ohnmacht zu sich selbst gekommen. Kreisler leistete ihm hülfreiche Hand, da sprach der Mönch mit leiser wimmernder Stimme:»Ich erkenne Euch – Ihr seid Kreisler! Habt Barmherzigkeit, verlaßt mich nicht, helft mir zu jenen Stufen, ich will mich dort niederlassen, aber setzt Euch zu mir, dicht zu mir, denn nur die Gebenedeite darf uns hören. – Übt Mitleiden, Gnade«, fuhr nun der Mönch fort, als beide auf den Stufen des Altars saßen,»vertraut mir, ob Ihr nicht das verhängnisvolle Bildnis von dem alten Severino erhieltet, ob Ihr um alles, um das ganze furchtbare Geheimnis wisset?«