«Ich kann«, wandte sich die Prinzessin zum Kreisler,»nun einmal nichts herausbringen, wenn ich nicht mit dem Lehrer allein bin! der den Beichtvater vorstellt, dem man ohne Scheu alle Sünden vertrauen kann. Überhaupt werden Sie, lieber Kreisler, die steife Etikette bei uns seltsam, werden es lästig finden, daß ich überall von Hofdamen umgeben, gehütet werde wie die Königin von Spanien. – Wenigstens sollte man hier in dem schönen Sieghartshof mehr Freiheit genießen. Wäre der Fürst im Schlosse, ich hätte Nannette nicht fortschicken dürfen, die sich selbst bei unseren musikalischen Studien ebensosehr langeweilt, als sie mich geniert. – Fangen wir noch einmal an, jetzt wird es besser gehen.«– Kreisler, bei dem Unterricht die Geduld selbst, begann das Gesangstück, welches die Prinzessin einzustudieren unternommen, von neuem, aber so sichtlich Hedwiga sich auch mühte, so viel Kreisler auch einhelfen mochte, sie verirrte sich in Takt und Ton, sie machte Fehler über Fehler, bis sie glutrot im ganzen Gesicht aufsprang, an das Fenster lief, und hinausschaute in den Park. Kreisler glaubte zu bemerken, daß die Prinzessin heftig weine, und fand seinen ersten Unterricht, den ganzen Auftritt, etwas peinlich. Was konnte er Bessers tun, als versuchen, ob der feindliche, unmusikalische Geist, der die Prinzessin zu verstören schiene, sich nicht bannen lasse eben durch Musik. Er ließ daher allerlei angenehme Melodien fortströmen, variierte die bekanntesten Lieblingslieder in kontrapunktischen Wendungen und melismatischen Schnörkeln, so daß er zuletzt sich selbst darüber wunderte, wie er so charmant den Flügel zu spielen verstehe, und die Prinzessin vergaß, samt ihrer Arie, und ihrer rücksichtslosen Ungeduld.
«Wie herrlich doch der Geierstein in der leuchtenden Abendsonne steht«, sprach die Prinzessin, ohne sich umzuwenden.
Kreisler war eben in einer Dissonanz begriffen, natürlicherweise mußte er diese auflösen, und konnte daher nicht mit der Prinzessin den Geierstein und die Abendsonne bewundern.»Gibt's wohl einen reizendern Aufenthalt weit und breit, als unser Sieghartshof?«sprach Hedwiga lauter und stärker als vorher. – Nun mußte Kreisler wohl, nachdem er einen tüchtigen Schlußakkord angeschlagen, zu der Prinzessin an das Fenster treten, der Aufforderung zum Gespräch höflich genügend.
«In der Tat, gnädigste Prinzessin«, sprach der Kapellmeister,»der Park ist herrlich, und ganz besonders ist es mir lieb, daß sämtliche Bäume grünes Laub tragen, welches ich überhaupt an allen Bäumen, Sträuchern und Gräsern sehr bewundere und verehre, und jeden Frühling dem Allmächtigen danke, daß es wieder grün worden und nicht rot, welches in jeder Landschaft zu tadeln, und bei den besten Landschaften, wie z. B. Claude Lorrain oder Berghem, ja selbst bei Hackert, der bloß seine Wiesengründe was weniges pudert, nirgends zu finden.»
Kreisler wollte weiter reden, als er aber in dem kleinen Spiegel, der zur Seite des Fensters angebracht, der Prinzessin totbleiches, seltsam verstörtes Antlitz erblickte, verstummte er vor dem Schauer, der sein Inneres durcheiste.