Kern lehnte sich mit aufgerissenen Augen zurück.
Der Kellner nickte. »Alles schon bezahlt.«
»Ich träume«, sagte Kern und strich sich über die Augen. »Hast du jemals Champagner getrunken, Ruth?«
»Nein. Das habe ich bis jetzt nur im Film gesehen.«
Kern faßte sich mühsam. »Herr Wirt«, sagte er mit Würde,»Sie sehen, welch vorteilhaften Tausch ich Ihnen vorgeschlagen habe. Eine Flasche des weltberühmten Kern-Farr gegen zwei lächerliche Käsekuchen! Hier sehen Sie, was Kenner dafür geben!«
»Man kann nicht alles wissen«, erklärte der Wirt. »Ich verstehe mehr von Getränken.«
»Ruth«, sagte Kern,»von heute an glaube ich an Wunder. Wenn jetzt hier durchs Fenster eine weiße Taube hereinflöge, im Schnabel zwei gültige Pässe für uns auf fünf Jahre oder eine unbegrenzte Arbeitserlaubnis – es würde mich nicht erstaunen!«
Sie tranken die Flasche leer. Es wäre ihnen als Sünde erschienen, wenn sie einen Tropfen dringelassen hätten. Es schmeckte ihnen nicht einmal so besonders; aber sie tranken und wurden immer heiterer und waren zum Schluß beide ein wenig betrunken.
Sie brachen auf. Kern nahm die Kuchenpakete und wollte die Koteletts bezahlen. Aber der Kellner wehrte ab. »Alles schon erledigt…«
»Ruth«, sagte Kern mit etwas stockender Stimme,»das Leben überwältigt uns. Noch ein solcher Tag, und ich werde zum Romantiker.«
Der Wirt hielt sie auf. »Haben Sie noch was von dem Parfüm? Ich dachte, für meine Frau…«
Kern wurde wieder wach. »Zufällig habe ich noch eine da. Die letzte.« Er zog die zweite Flasche aus der Tasche. »Aber nicht mehr wie vorhin, mein Lieber. Die Gelegenheit haben Sie verpaßt! Zwanzig Kronen!« Er hielt den Atem an. »Weil Sie es sind!«
Der Wirt rechnete blitzschnell. Dreißig Kronen hatte er dem Rittmeister bei dem Champagner und dem Kuchen zuviel gerechnet. Blieben also noch zehn Kronen Überverdienst. »Fünfzehn«, bot er.
»Zwanzig.« Kern machte Miene, die Flasche wieder einzustekken.
»Also gut.« Der Wirt holte einen zerknitterten Schein aus der Tasche. Er beschloß, seiner Geliebten, der strammen Barbara, zu sagen, die Flasche hätte fünfzig gekostet. Er konnte so einen Hut für sie sparen, den sie seit Wochen verlangte, und der achtundvierzig Kronen kosten sollte. Ein doppeltes Geschäft.
Kern und Ruth gingen zum Hotel. Sie holten Ruths Koffer und gingen dann zum Bahnhof.
Ruth war still geworden. »Sei nicht traurig«, sagte Kern. »Ich komme bald nach. In einer Woche spätestens muß ich hier hinaus. Ich kenne das. Dann komme ich nach Wien. Willst du, daß ich nach Wien komme?«
»Ja, komm! Aber nur, wenn es richtig für dich ist.«
»Warum sagst du nicht einfach: ›Ja, komm‹?«
Sie sah ihn etwas schuldbewußt an. »Ist das andere nicht mehr?«
»Ich weiß nicht. Es klingt vorsichtiger.«
»Ja«, erwiderte sie, plötzlich traurig,»vorsichtiger, das ist es.«
»Sei doch nicht traurig«, sagte Kern. »Vorhin warst du noch so froh!«
Sie blickte hilflos zu ihm auf. »Hör nicht auf mich«, murmelte sie. »Manchmal bin ich ganz durcheinander. Vielleicht ist es der Wein. Denk, es wäre der Wein. Komm, wir haben noch ein paar Minuten Zeit.«
Sie setzten sich auf eine Bank in den Anlagen. Kern legte den Arm um ihre Schultern. »Sei doch froh, Ruth. Das andere nützt ja nichts. Das klingt dumm, aber für uns ist es nicht dumm. Wir haben unser bißchen Fröhlichkeit bitter nötig. Gerade wir.«
Sie starrte vor sich hin. »Ich möchte ja froh sein, Ludwig. Aber ich bin so schwer. Ich möchte so gern leicht sein. Ich möchte alles gut machen. Aber es ist immer ungeschickt und schwer.« Sie stieß die Worte zornig hervor, und Kern sah plötzlich, daß ihr Gesicht überströmt war von Tränen. Sie weinte ohne Laut, zornig und hilflos. »Ich weiß nicht, weshalb ich weine«, sagte sie,»ich habe doch gerade jetzt so wenig Grund. Aber vielleicht weine ich deshalb. Sieh nicht hin… sieh mich nicht an…«
»Doch«, erwiderte Kern. – Sie beugte ihr Gesicht vor und legte ihm ihre Hände auf die Schulter. Er zog sie an sich, und sie küßte ihn – blind, mit geschlossenen Augen und hartem, geschlossenem Mund, wild und zornig, als stieße sie ihn weg.
»Ach…« Sie wurde ruhiger. »Was weißt du…« Ihr Kopf fiel an seine Schulter, ihre Augen blieben geschlossen,»was weißt du…« Ihr Mund öffnete sich, und ihre Lippen wurden weich wie eine Frucht.
SIE GINGEN WEITER. Am Bahnhof verschwand Kern und kaufte einen Strauß Rosen. Er segnete dabei den Mann mit dem Monokel und den Wirt des »Schwarzen Ferkels«.
Ruth war völlig verwirrt, als er mit den Blumen ankam. Sie errötete, und aller Kummer wich aus ihrem Gesicht. »Blumen«, sagte sie,»Rosen! Ich reise ab wie ein Filmstar.«
»Du reist ab wie die Frau eines äußerst erfolgreichen Geschäftsmannes«, erklärte Kern stolz.
»Geschäftsleute schenken keine Blumen, Ludwig.«
»Doch, die jüngste Generation tut es wieder.«