Читаем Liebe Deinen Nächsten полностью

Er legte den Brief auf die Kante seiner Pritsche. Dann machte er seine Übungen. Er boxte Ammers erneut nieder und gab ihm diesmal auch ein paar verbotene kräftige Nierenschläge. »Wir lassen uns mal nicht unterkriegen«, sagte er zu dem Brief hinüber und schickte Ammers mit einem schönen Schwinger gegen den Spitzbart abermals zu Boden. Er ruhte sich aus und unterhielt sich weiter mit dem Brief. Erst nachmittags, als es dämmerig wurde, öffnete er ihn und las die ersten Zeilen. Jede Stunde las er ein Stück weiter. Abends war er bis zur Unterschrift gekommen. Er sah die Sorge Ruths, ihre Angst, ihre Liebe und ihre Tapferkeit, und er sprang auf und schlug aufs neue auf Ammers ein. Dieser Kampf war allerdings nicht sehr sportgerecht… Ammers erhielt Ohrfeigen, Fußtritte, und zum Schluß wurde ihm der weiße Spitzbart ausgerissen.


STEINER HATTE SEINE Sachen gepackt. Er wollte nach Frankreich. Es war gefährlich in Österreich geworden, und der Anschluß an Deutschland war nur noch eine Frage der Zeit. Außerdem rüstete der Prater und das Unternehmen Direktor Potzlochs zum großen Winterschlaf.

Potzloch schüttelte Steiner die Hand. »Wir fahrenden Leute sind ja gewohnt, daß man sich trennt. Irgendwo trifft man sich immer mal wieder.«

»Bestimmt.«

»Na also!« Potzloch griff nach seinem Kneifer. »Kommen Sie gut durch den Winter. Ich bin kein Freund von Abschiedsszenen.«

»Ich auch nicht«, erwiderte Steiner.

»Wissen Sie«, Potzloch zwinkerte,»es ist eine reine Gewohnheitssache. Wenn man so viele Leute hat kommen und gehen sehen wie ich… reine Gewohnheitssache zum Schluß. Als wenn man bloß mal von der Schießbude zum Ringelspiel hinübergeht.«

»Ein schönes Bild! Von der Schießbude zum Ringelspiel… und vom Ringelspiel wieder zur Schießbude… sogar ein Bild zum Verlieben!«

Potzloch schmunzelte geschmeichelt. »Unter uns gesprochen, Steiner… wissen Sie, was das Furchtbarste ist auf der Welt? Im Vertrauen gesagt: daß alles zum Schluß Gewohnheitssache wird.« Er hakte seinen Kneifer auf die Nase. »Sogar die sogenannten Ekstasen!«

»Sogar der Krieg«, sagte Steiner. »Sogar der Schmerz! Sogar der Tod! Ich kenne jemand, dem sind in zehn Jahren vier Frauen gestorben. Jetzt hat er die fünfte. Sie kränkelt schon. Was soll ich Ihnen sagen, er schaut bereits in aller Ruhe nach der sechsten aus. Alles Gewohnheitssache! Nur der eigene Tod nicht.«

Potzloch winkte flüchtig ab. »An den glaubt man ja nie ernstlich, Steiner. Nicht einmal im Krieg; denn sonst gab’s keinen mehr. Jeder glaubt immer, gerade er käme dran vorbei. Stimmt’s?«

Er sah Steiner mit schiefem Kopf an. Steiner nickte amüsiert. Potzloch streckte ihm noch einmal die Hand hin. »Also Servus! Ich muß rasch zur Schießbude hinüber, nachsehen, ob die das Service gut einpacken.«

»Servus! Ich gehe dafür wieder einmal ins Ringelspiel.«

Potzloch grinste und sauste davon.

Steiner ging zum Wagen hinüber. Das trockene Laub knisterte unter seinen Füßen. Die Nacht stand schweigend und unbarmherzig über dem Walde. Von der Schießbude klang Hämmern herüber. Im halb abgebrochenen Karussell schwankten ein paar Lampen.

Steiner ging, sich von Lilo zu verabschieden. Sie blieb in Wien. Ihre Ausweise und ihre Arbeitserlaubnis galten nur für Österreich. Sie wäre auch nicht mitgegangen, wenn sie gekonnt hätte. Steiner und sie waren Kameraden des Schicksals, zusammengeweht vom Wind der Zeit… sie wußten das beide.

Sie stand im Wohnwagen und deckte den Tisch. Als er eintrat, wandte sie sich um. »Es ist Post für dich gekommen«, sagte sie.

Steiner nahm den Brief und sah auf die Marke. »Aus der Schweiz. Sicher von unserem Kleinen.« Er riß den Umschlag auf und las. »Ruth ist im Krankenhaus«, sagte er dann.

»Was hat sie?« fragte Lilo.

»Lungenentzündung. Aber anscheinend nicht schwer. Sie sind in Murten. Der Kleine gibt abends Feuerzeichen vor dem Hospital. Vielleicht treffe ich sie noch, wenn ich durch die Schweiz komme.«

Steiner steckte den Brief in seine Brusttasche. »Hoffentlich weiß der Kleine, was er machen muß, damit sie wieder zusammenkommen.«

»Er wird es wissen«, sagte Lilo. »Er hat viel gelernt.«

»Ja, trotzdem…«

Steiner wollte Lilo erklären, daß es schwierig für Kern sei, wenn Ruth aus dem Krankenhaus zur Grenze gebracht würde. Aber dann dachte er daran, daß sie beide sich heute abend zum letztenmal sähen – und daß es besser sei, nicht von zwei Menschen zu sprechen, die beieinander bleiben und sich wiedersehen wollten.

Er ging zum Fenster und sah hinaus. Auf dem mit Karbidlampen erleuchteten Platz packten Arbeiter die Schwäne, die Pferde und Giraffen des Karussells in graue Säcke. Die Tiere lagen und standen auf dem Boden herum, als hätte eine Bombe das paradiesische Zusammenleben plötzlich zerstört. In einer der abmontierten Gondeln saßen zwei Arbeiter und tranken Bier aus Flaschen. Sie hatten ihre Jacken und ihre Mützen über das Geweih eines weißen Hirsches gestülpt, der mit weitgestreckten Beinen, wie erstarrt zu ewigem Aufbruch, an einer Kiste lehnte.

»Komm«, sagte Lilo hinter ihm,»das Essen ist fertig. Ich habe dir Piroggen gemacht.«

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