Die Straßen der Stadt sind weder gepflastert, noch chaussirt{745}
, sie sind sehr uneben, und bey Regenwetter so kothig, daß ich gut bespannte Wägen stecken bleiben sah. Die Einwohner werfen alle Unreinigkeiten auf die Straße, und selbst in den gangbarsten trifft man auf todte Katzen, Hunde, selbst Pferde und Rindvieh. Besonders unangenehm und lästig ist die zahllose Menge herrenloser Hunde, die in Heerden // S. 159// durch die Straßen ziehen, und die Vorübergehenden nicht nur anbellen, sondern selbst210 angreifen. Es geschah uns öfters, daß wir von solchen Heerden angefallen wurden, und uns nur mit Mühe ihrer erwehren konnten. Wenn ihre Zahl nicht zu groß ist, so genügt es übrigens an ein paar tüchtigen Hieben auf den vordersten und kühnsten, um den ganzen Trupp mit Geheul davon laufen zu machen. Zur Nachtzeit giengen wir nie einzeln über die Straße, sondern immer mehrere zusammen, weil der Einzelne in Gefahr stand, ermordet zu werden, was mehreren Franzosen während unseres Aufenthaltes in Czernigow begegnete. Zwar besteht in der Stadt eine Polizeywache, die Nachts Runde macht, allein ihre Sorgfalt erstreckte sich nicht bis auf uns arme Gefangene, vielmehr hatte sie selbst vielleicht bey der Ermordung der Franzosen ihre Hände im Spiel, jedenfalls aber pfändete sie gewöhnlich die einzelnen Gefangenen, die ihnen Nachts in den Straßen in die Hände fielen.In Czernigow
lagen damals nur 2. Compagnien Invaliden als Besatzung. Die Soldaten sind bey den Einwohnern einquartirt, die Officiere miethen sich ihre Wohnungen. Letztere zeichnen sich durch Bildung keineswegs aus. Die Mannszucht schien nicht sehr strenge zu seyn. —Die Einwohner gehören nicht zu den AltRussen. // S. 160// Sie sind ein Gemisch von Russen und Pohlen, und haben, wie es überall an der Grenze von gröseren Völkern der Fall ist, die Tugenden der beiden Nationen meistens abgelegt, dagegen nicht nur ihre Nationalfehler beybehalten, sondern auch noch die des andern Volkes angenommen. Der Czernigower
ist listig und pfiffig, habsüchtig und betrügerisch. Das zweite Geschlecht, das — wie allerorten in Pohlen und Rußland,211 nicht zum schönen gerechnet werden darf, soferne es den unteren und mittleren Volks-Classen angehört, ist unreinlich, häßlich, in hohem Maase streit- und zanksüchtig. Beyde Geschlechter zeigten sich hart und unbarmherzig gegen die armen Gefangenen, das weibliche aber noch mehr, als das männliche. Manche Einwohner treiben Handwerke, jedoch ohne viele Fertigkeit, viele andere nähren sich vom Handel mit allen Arten von Gegenständen, und bey mehr Bildung dürfte ihre Thätigkeit und Unverdrossenheit sie bald zu grösserem Wohlstände führen. Die Beamten und der Adel sind wenig zahlreich. So weit unsere Lage uns Beobachtungen erlaubte, so bemerkten wir nichts, das uns eine grose Meynung von ihrer Bildung hätte geben können. Beide Classen liessen sich nie zum Umgang mit uns herab. Die Juden, deren es viele giebt, leben von Handel und Gewerben, und zeichnen sich, wie in Pohlen auch hier durch ihre Betriebsamkeit und Habgier aus. Die ansässigen Fremden sind meistens Deutsche, Handwerker und Professionisten{746}, Apotheker und Aerzte, und alle gewinnen einen reichlichen Lebensunterhalt, den sie durch Fleiß, // S. 161// Sparsamkeit und Rechtlichkeit meistens wohl verdienen. Ihr oft zurückstossendes, immer aber kaltes Benehmen gegen uns, ihre Landsleute, findet eine hinlängliche Entschuldigung in der Eifersucht, mit der ihr Umgang mit uns von den russischen Behörden bewacht wurde. Die Kleidung der höheren Classen ist ganz nach französischem Schnitte, während die der niederen durchaus ähnlich ist dem der Landesbewohner. Die Lebensart der Einwohner ist einfach. Nirgends gewahrte ich öffentliche Lustbarkeiten, wie Tänze, und dergl[eichen]. In einzelnen adelichen Häusern fanden hin und da Bälle und Soupes{747} statt. Die Kost der mittleren Classen besteht aus Fleisch und Mehlspeisen, an Fasttagen aus gesalzenen Fischen und Eyern mit Oel gebraten. Der gemeine Mann lebt von Mehlspeisen, Sauerkraut und gesalzenen Fischen, und in den Fastenzeiten genießt er gewöhnlich nur Fische.