2 Das Licht in Hedwigs Zimmer brannte noch; ich fuhr weiter, sah den weinroten Wagen noch vor der Haustür stehen und fuhr um den ganzen Block herum wieder bis zur Häuserlücke in der Korbmachergasse. Es war still und dunkel; wir schwiegen; mein Hunger kam, verging wieder, kam und ging wieder, lief wie die Wellen eines Erdbebens durch mich hin. Mir fiel ein, dass der Scheck, den ich Wickweber geschickt hatte, gar nicht mehr gedeckt war, und ich dachte daran, dass Hedwig mich nicht einmal nach meinem Beruf gefragt hatte, dass sie meinen Vornamen nicht kannte. Die Schmerzen in meinen Händen wurden heftiger, und wenn ich die gequälten Augen für Sekunden schloss, tanzte ich durch Ewigkeiten voll orangefarbener Triangeln.
3 Das Licht in Hedwigs Zimmer würde ausgehen, an diesem Montag, der noch vier Stunden Zeit hatte; das Motorengeräusch des weinroten Autos würde sich entfernen, schon glaubte ich zu hören, wie sich der Motor in die Nacht hineinbohrte. Stille und Dunkelheit hinter sich zurücklassend. Treppen würden wir hinaufgehen. Türen leise öffnen und Schließen. Noch einmal blickte Hedwig auf ihren Mund; noch einmal zog sie ihn mit festen und langsamen Strichen nach, als sei er noch nicht rot genug, und ich wusste jetzt schon, was ich später erst wissen würde.
4 Nie vorher hatte ich gewusst, dass ich unsterblich und wie sterblich ich war: ich hörte die Kinder schreien, die in Bethlehem ermordet worden sind, und in ihr Schreien mischte sich der Todesschrei Fruklahrs, ein Schrei, den niemand gehört hatte, der mein Ohr aber nun erreichte; ich roch den Atem der Löwen, die die Märtyrer zerrissen hatten, fühlte ihre Pranken wie Dornen in meinem Fleisch; ich schmeckte die Sole des Meeres, bittere Tropfen aus der tiefsten Tiefe, und ich sah in Bilder hinein, die über ihre Rahmen hinauswuchsen wie Wasser, das über die Ufer tritt — Landschaften, die ich nie gesehen, Gesichter, die ich nie gekannt hatte, und ich fiel durch diese Bilder hindurch auf Hedwigs Gesicht, prallte auf Brolaski, auf Helene Frenkel, auf Fruklahr, fiel durch diese Gesichter wieder hindurch auf Hedwig, und ich wusste, dass ihr Gesicht unvergänglich war, dass ich sie wiedersehen würde, mit einem Tuch vor dem Gesicht, das es plötzlich abreißen würde, um ihr Gesicht Grömmig zu zeigen. Hedwigs Gesicht, das ich mit meinen Augen gar nicht sehen konnte, weil die Nacht so dunkel war, aber ich brauchte keine Augen mehr, um sie zu sehen.
Илья Михайлович Франк , Илья Франк , Фридрих Дюрренматт , Яков Александрович Унфангер , Яков Унфангер
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