Die ganze Menscheng"ute dieses seltenen Mannes spricht aus der Bemerkung, mit der er jetzt in den franz"osischen Zeitungen dagegen protestiert, dass man seine Sammlung ein „Schreckenskabinett“ benenne – und das ist sie auch wirklich nicht. Er hat diese Bilder Namenloser lieb gehabt, und tats"achlich ist ja solche Pinselei nur durch einen haard"unnen Strich von manchen grossen Werken getrennt. Sehr schwer zu sagen, wo die blinde Naivit"at aufh"ort und die Kunst beginnt. Perlen h"angen da an den W"anden bei Bernheim.
Den malenden Laien reizt vor allem die Anekdote sowie das Gegenst"andliche. Diese Bilder erz"ahlen entweder eine Geschichte, oder sie bilden die Natur, den Menschen, die Tiere, die Sachen mit einem solchen Respekt ab, dass nur das mangelnde K"onnen zum Lachen reizt, nicht die Auffassung, nicht die Anschauung. Vom Auge bis zum malenden Arm war es einfach zu weit.
Eine Landschaft aus der Auvergne… ach, wenn die Natur so sch"on w"are! Wenn wir sie noch so sehen k"onnten! Eine Zwergenfamilie… das heisst: man weiss bei dieser Art Privatperspektive der Herren Sonntagsmaler nie, ob es Zwerge, Kinder oder Verzeichnete sind, die da stehen. Ganz ersten Ranges[41]: die Ermordung der Familie Kink durch Herrn M"order Troppmann.
M"order Troppmann steht inmitten einer d"ustern Nachtlandschaft, in deren Hintergrund ein einsames, hohes, weisses Haus sehr unheimlich leuchtet. Auf dem Boden liegen blutig Vater, Mutter und viele Kinder, sie sind s"amtlich sorgf"altig rot angemalen, damit man auch weiss, was hier vor sich geht[42]. M"order Troppmann ist grade im Begriff[43], einen Knaben, den er am Schlafittchen hat, niederzumachen; sogar seine Manschetten hat sich der Kerl besudelt, wie weit geht doch die menschliche Verworfenheit! Der Mond bricht – also darauf legt der Maler das gr"osste Gewicht – der Mond bricht durchs Gew"olk, das ist bei Morden so. Es ist ein sehr lehrreiches Bild.
Ein Badebild mit weisser Hosenromantik; wundersch"one Soldatenbilder – merkw"urdig, wie oft das Milit"ar, das bunte, dazu dient, leere K"opfe zu f"ullen; seltsame Ankl"ange an James Ensor, Bilder mit zahllosen kleinen vision"aren M"annerchen[44]; am allersch"onsten die Blumenst"ucke und die klaren Landschaften. Wir wollen uns nichts vormachen: so mancher snobistische Salon fiele brav herein, pr"asentierte man ihm diese Gem"alde als letzte Neuheit.
Man kann diese Bilder kaufen; nun gehn sie in alle Welt und werden in Privatgalerien h"angen und in Vorhallen, in Arbeitszimmern – sie werden l"acheln machen und nachdenken.
Dass Georges Courteline so etwas gesammelt hat, wundert keinen, der diesen Mann kennt und liebt. Er ist "ubrigens nicht der einzige; so hat zum Beispiel der Maler Maurice Vlaminck etwas "Ahnliches – aber Courteline ist kein Maler. Er ist ein Dichter, und was f"ur einer!
Das Sch"onste, das Allersch"onste an dieser Ausstellung steht im Katalog, den Robert Rey, der Kunsthistoriker vom Luxembourg, sehr klug eingeleitet hat. Das ist das Wappen, das sich Courteline selbst entworfen hat. Ein heraldischer Scherz mit Spassl"owen und Scherzornamenten, nichts Bedeutendes. Aber unten, unter dem Wappen, zieht sich ein gemaltes Band, und auf dem steht ein Spruch.
Auf dem steht, Georges Courteline, der Spruch Ihres Lebens, und – verzeihen Sie – der des meinen auch. Nie wird mir einer glauben, dass dieselben Worte, genau dieselben Worte, seit Jahren in meinem Arbeitsbuch stehn, vorn auf der ersten Seite. Ihr ganzes Wesen ist darin, Courteline, genau das, um dessentwillen wir Sie lieben. Es sind nur zwei Worte und eine ganze Welt. Die Worte heissen:
„Et apr`es —?[45]“
Na und —?
Die Welt verachten – das ist sehr leicht und meist ein Zeichen schlechter Verdauung. Aber die Welt verstehen, sie lieben und dann, aber erst dann, freundlich l"acheln, wenn alles vorbei ist —: das ist Humor. Courteline, Sie sind „nur“ in der Acad'emie Goncourt gewesen, und nicht in der „grossen“ Akademie, nicht in der richtigen – et apr`es? Ich weiss auch, dass manche meiner Landsleute Sie viel lieber haben als manche Franzosen. Die Franzosen, die so sagen: „Ja, aber immer diese Geschichten von Soldaten und von solchen H"ausern und von Rauchtabak und dem kleinen Caf'e – das ist gewiss sehr am"usant, ja, ja…“ und dann sprechen sie von ihrer gebildeten Literatur, von ihrer feinen, so psychologischen Literatur. Viele aber lieben Sie.