O, Missgeschick! Urplötzlich war der Jüngling ebenso missgestaltet, als es vorher Prinzessin Pirlipat gewesen. Der Körper war zusammengeschrumpft und konnte kaum den dicken ungestalteten Kopf mit großen hervorstechenden Augen und dem breiten entsetzlich aufgähnenden Maule tragen. Statt des Zopfes hing ihm hinten ein schmaler hölzerner Mantel herab, mit dem er den untern Kinnbacken regierte. Uhrmacher und Astronom waren außer sich vor Schreck und Entsetzen, sie sahen aber wie Frau Mauserinks sich blutend auf dem Boden wälzte. Ihre Bosheit war nicht ungerächt geblieben, denn der junge Drosselmeier hatte sie mit dem spitzen Absatz seines Schuhes so derb in den Hals getroffen, dass sie sterben musste. Aber indem Frau Mauserinks von der Todesnot erfasst wurde, da piepte und quiekte sie ganz erbärmlich:
– O, Krakatuk, harte Nuss, an der ich nun sterben muss. Hi hi – pi pi, fein Nussknackerlein, wirst auch bald des Todes sein. Söhnlein mit den sieben Kronen, wird’s dem Nussknacker lohnen, wird die Mutter rächen fein, an dir du klein Nussknackerlein. O, Leben so frisch und rot, von dir scheid ich, o Todesnot! Quiek.
Mit diesem Schrei starb Frau Mauserinks und wurde von dem königlichen Ofenheizer fortgebracht. Um den jungen Drosselmeier hatte sich niemand bekümmert, die Prinzessin erinnerte aber den König an sein Versprechen, und sogleich befahl er, dass man den jungen Helden herbeischaffe. Als nun aber der Unglückliche in seiner Missgestalt hervortrat, da hielt die Prinzessin beide Hände vors Gesicht und schrie:
– Fort, fort mit dem abscheulichen Nussknacker! Alsbald ergriff ihn auch der Hofmarschall bei den kleinen Schultern und warf ihn zur Türe heraus.
Der König war voller Wut, dass man ihm habe einen Nussknacker als Eidam aufdringen wollen, schob alles auf das Ungeschick des Uhrmachers und des Astronomen, und verwies beide auf ewige Zeiten aus der Residenz. Das hatte nun nicht in dem Horoskop gestanden, welches der Astronom in Nürnberg gestellt, er ließ sich aber nicht abhalten, aufs Neue zu observieren und da wollte er in den Sternen lesen, dass der junge Drosselmeier sich in seinem neuen Stande so gut nehmen werde, dass er trotz seiner Ungestalt Prinz und König werden würde. Seine Missgestalt könne aber nur dann verschwinden, wenn der Sohn der Frau Mauserinks, den sie nach dem Tode ihrer sieben Söhne, mit sieben Köpfen geboren, und welcher Mausekönig geworden, von seiner Hand gefallen seie, und eine Dame ihn, trotz seiner Missgestalt, liebgewinnen werde. Man soll denn auch wirklich den jungen Drosselmeier in Nürnberg zur Weihnachtszeit in seines Vaters Bude, zwar als Nussknacker, aber doch als Prinzen gesehen haben![50]
Das ist, ihr Kinder, das Märchen von der harten Nuss, und ihr wisst nun warum die Leute so oft sagen: ,Das war eine harte Nuss und wie es kommt, dass die Nussknacker so hässlich sind.“
So schloss der Obergerichtsrat seine Erzählung. Marie meinte, dass die Prinzessin Pirlipat doch eigentlich ein garstiges undankbares Ding sei; Fritz versicherte dagegen, dass, wenn Nussknacker nur sonst ein braver Kerl sein wolle, er mit dem Mausekönig nicht viel Federlesens machen[51]
, und seine vorige hübsche Gestalt bald wiedererlangen werde.Onkel und Neffe
Hat jemand von meinen hochverehrtesten Lesern oder Zuhörern jemals den Zufall erlebt, sich mit Glas zu schneiden, so wird er selbst wissen, wie wehe es tut, und welch schlimmes Ding es überhaupt ist, da es so langsam heilt. Hatte doch Marie beinahe eine ganze Woche im Bett zubringen müssen, weil es ihr immer ganz schwindlicht zumute wurde, sobald sie aufstand. Endlich aber wurde sie ganz gesund und konnte lustig, wie sonst, in der Stube umherspringen.
Im Glasschrank sah es ganz hübsch aus, denn neu und blank standen da Bäume und Blumen und Häuser und schöne glänzende Puppen. Vor allen Dingen fand Marie ihren lieben Nussknacker wieder, der, in dem zweiten Fache stehend, mit ganz gesunden Zähnchen sie anlächelte.
Als sie nun den Liebling so recht mit Herzenslust anblickte, da fiel es ihr mit einem Mal sehr bänglich aufs Herz, dass alles, was Pate Drosselmeier erzählt habe, ja nur die Geschichte des Nussknackers und seines Zwistes mit der Frau Mauserinks und ihrem Sohne gewesen. Nun wusste sie, dass ihr Nussknacker kein anderer sein könne, als der junge Drosselmeier aus Nürnberg, des Pate Drosselmeiers angenehmer, aber leider von der Frau Mauserinks verhexter Neffe. Denn dass der künstliche Uhrmacher am Hofe von Pirlipats Vater niemand anders gewesen, als der Obergerichtsrat Drosselmeier selbst, daran hatte Marie schon bei der Erzählung nicht einen Augenblick gezweifelt.