»So ist es.« Trotz des beleidigenden Tons der Bemerkung hielt Jamie seine Stimme neutral. Egal, was zwischen ihnen vorgefallen war – er wollte jetzt keinen Ärger. Nicht angesichts dessen, was draußen im Wagen lag. Ich wischte mir unauffällig die verschwitzten Handflächen am Rock ab.
Der Sergeant hatte angefangen, sich die Uniformjacke zuzuknöpfen, ohne den Blick von Jamie abzuwenden.
»Ich habe gehört, dass ein Mr. Fraser angekommen sein soll, um bei Mistress Cameron auf River Run herumzuschmarotzen«, sagte er und verzog seine dicken Lippen. »Das seid dann wohl Ihr, oder?«
Der Argwohn in Jamies Augen gefror zu einem Blau so kalt wie Gletschereis, obwohl seine Lippen weiter freundlich lächelten.
»Mistress Cameron ist meine Verwandte. Ich bin in ihrem Namen hier.«
Der Sergeant legte den Kopf zurück und kratzte sich ausgiebig am Hals. Eine lange, scharfkantige, rote Falte zog sich dort über die bleiche Haut, als hätte jemand erfolglos versucht, den Mann zu garrottieren.
»Eure Verwandte. Tja, das sagt sich leicht, ist es nicht so? Die Dame ist blind wie ein Maulwurf, habe ich gehört. Kein Ehemann, keine Söhne, eine leichte Beute für jeden Gauner, der hier aufkreuzt und behauptet, zur Familie zu gehören.« Der Sergeant senkte den Kopf und grinste mich an. Er hatte sich wieder völlig im Griff.
»Und die Dirne gehört auch zu Euch, ja?« Es war pure Böswilligkeit, ein Schuss ins Blaue; der Mann hatte mich kaum angesehen.
»Das ist meine Frau, Mistress Fraser.«
Ich konnte sehen, wie die beiden steifen Finger an Jamies rechter Hand einmal zuckten, der einzige sichtbare Hinweis auf seine Gefühle. Er legte den Kopf etwas zurück und betrachtete den Sergeanten mit einer Art sachlichem Interesse.
»Und welcher seid Ihr, Sir? Ich bitte meine Erinnerungslücke zu entschuldigen, aber ich gestehe, dass ich Euch nicht von Eurem Bruder unterscheiden kann.«
Der Sergeant zuckte zusammen, als hätte man ihn angeschossen, und erstarrte beim Anlegen seiner Halsbinde.
»Verdammt!«, sagte er und erstickte fast an seinen Worten. Sein Gesicht hatte einen ungesunden Pflaumenton angenommen, und ich dachte bei mir, dass er wirklich auf seinen Blutdruck achten sollte. Das sagte ich aber nicht laut.
An dieser Stelle schien der Sergeant zu bemerken, dass ihn alle Anwesenden im Schankraum mit großem Interesse anstarrten. Er blickte um sich, schnappte sich seinen Hut und stampfte zur Tür, wobei er mich im Vorübergehen zur Seite schob, so dass ich einen Schritt zurückstolperte.
Jamie ergriff meinen Arm, um mich zu stützen, und schlüpfte dann ebenfalls unter dem Türsturz hindurch. Ich folgte ihm und bekam gerade noch mit, wie er dem Sergeanten hinterherrief: »Murchison! Ich muss mit Euch reden!«
»Reden, was?«, sagte er. »Und was könntet Ihr mir wohl zu sagen haben,
»Etwas Berufliches, Sergeant«, sagte Jamie kühl. Er deutete mit einem Nicken auf den Wagen, den wir unter einem Baum zurückgelassen hatten. »Wir haben Euch eine Leiche mitgebracht.«
Zum zweiten Mal verlor das Gesicht des Sergeanten jeden Ausdruck. Er blickte auf den Wagen, wo Fliegen und Mücken sich in kleinen Wolken gesammelt hatten und träge über der offenen Ladefläche kreisten.
»So.« Er war Berufssoldat, sein Benehmen blieb zwar unvermindert feindselig, doch das Blut wich aus seinem Gesicht, und seine geballten Fäuste entspannten sich.
»Eine Leiche? Wessen Leiche?«
»Ich habe keine Ahnung, Sir. Ich hatte die Hoffnung, dass Ihr es uns vielleicht sagen könntet. Wollt Ihr nachsehen?« Er wies kopfnickend auf den Wagen, und nach einem Augenblick des Zögerns nickte der Sergeant ebenfalls und schritt zum Wagen.
Ich eilte Jamie hinterher und kam gerade rechtzeitig, um das Gesicht des Sergeanten zu sehen, als er den Rand des improvisierten Leichentuches zurückzog. Er hatte nicht die geringste Erfahrung darin, wie man seine Gefühle verbarg – vielleicht war das in seinem Beruf nicht nötig. Schrecken flackerte über sein Gesicht wie ein Sommergewitter.
Jamie konnte das Gesicht des Sergeanten genauso gut sehen wie ich.
»Ihr kennt sie also?«, sagte er.
»Ich – sie – das heißt … ja, ich kenne sie.« Der Mund des Sergeanten klappte abrupt zu, als hätte er Angst davor, noch mehr Worte entweichen zu lassen. Er starrte weiter auf das Gesicht des toten Mädchens, während sein eigenes sich verschloss und jedes Gefühl darin gefror.
Ein paar Männer waren uns aus dem Wirtshaus gefolgt. Sie hielten zwar diskret Abstand, doch zwei oder drei von ihnen reckten neugierig die Hälse. Es würde nicht lange dauern, bis der ganze Distrikt wusste, was sich bei der Sägemühle zugetragen hatte. Ich hoffte, dass Duncan und Ian weitergekommen waren.
»Was ist mit ihr geschehen?«, fragte der Sergeant und sah auf das erstarrte, weiße Gesicht herab. Sein eigenes Gesicht war fast genauso bleich.
Jamie beobachtete ihn genau, ohne es zu verhehlen.
»Ihr kennt sie also?«, sagte er noch einmal.