Jamie, der angesichts ihres Gefühlsausbruches glaubte, sie hätte sich verschluckt, klopfte ihr hilfsbereit auf den Rücken, und nun verschluckte sie sich wirklich.
»Hast du Onkel Jamie denn geschrieben und ihm gesagt, dass du zu uns kommst?«, fragte er und ignorierte ihr Husten und Prusten und ihren roten Kopf.
»Nein«, sagte sie heiser. »Ich weiß nicht, wo er ist.«
Jennys Augenbrauen hoben sich wie Möwenflügel.
»Aye, das hast du schon gesagt; ich hatte es vergessen.«
»Wisst ihr, wo er jetzt ist? Er und meine Mutter?« Brianna beugte sich gespannt vor und strich sich die Krümel aus ihrem Rüschenkragen.
Jenny lächelte und stand vom Tisch auf.
»Aye, das weiß ich – mehr oder weniger. Wenn du genug gegessen hast, komm mit mir, Liebe. Ich hole dir seinen letzten Brief.«
Brianna erhob sich, um Jenny zu folgen, blieb aber an der Tür abrupt stehen. Sie hatte schon vorher vage von ein paar Bildern Notiz genommen, die an der Wohnzimmerwand hingen, sie aber im Trubel der Gefühle und Ereignisse nicht genauer betrachtet. Doch dieses hier sah sie sich an.
Zwei kleine Jungen mit rotgoldenem Haar, steif und ernst in Kilts und Jacken, weiße Rüschenhemden, die sich leuchtend vor dem dunklen Fell eines Hundes abhoben, der neben ihnen saß und die Zunge in geduldiger Langeweile heraushängen ließ.
Der ältere Junge war groß und hatte feine Gesichtszüge; er saß aufrecht und stolz da, eine Hand ruhte auf dem Kopf des Hundes, die andere schützend auf der Schulter des kleinen Bruders, der zwischen seinen Knien stand.
Doch es war der Jüngere, den Brianna anstarrte. Sein Gesicht war rundlich und stupsnasig, die Wangen durchscheinend und rötlich wie Äpfel. Weit geöffnete blaue Augen, leicht schräggestellt, sahen unter einer Glocke aus leuchtendem Haar hervor, das unnatürlich ordentlich gekämmt war. Seine Pose war formell im klassischen Stil des achtzehnten Jahrhunderts, doch die robuste, stämmige kleine Gestalt hatte etwas, das sie lächeln und den Finger ausstrecken ließ, um sein Gesicht zu berühren.
»Na, du bist ja ein Süßer«, sagte sie leise.
»Jamie war ein süßer Kerl, aber auch ein stures kleines Biest.« Jennys Stimme direkt neben ihr erschreckte sie. »Man konnte ihn schlagen oder auf ihn einreden, es war ganz egal; wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann blieb es auch dort. Komm mit; da ist noch ein Bild, das dir gefallen wird, glaube ich.«
Das zweite Porträt hing über dem Treppenabsatz und wirkte dort durch und durch deplaziert. Von unten konnte sie den vergoldeten Schmuckrahmen sehen, dessen üppige Schnitzereien überhaupt nicht zu der soliden, ein wenig abgewetzten Gemütlichkeit der restlichen Einrichtung des Hauses passten. Es erinnerte sie an die Bilder in Museen; in dieser unspektakulären Umgebung schien es nichts verloren zu haben.
Als sie Jenny zum Treppenabsatz folgte, verschwand das gleißende Licht, das durch das Fenster fiel, und die Oberfläche des Bildes lag flach und deutlich vor ihr.
Sie schnappte nach Luft und spürte, wie sich die Haare auf ihren Unterarmen unter dem Leinenhemd sträubten.
»Es ist bemerkenswert, aye?« Jenny blickte von dem Gemälde zu Brianna und wieder zurück, und ihre Gesichtszüge trugen einen Ausdruck irgendwo zwischen Stolz und Ehrfurcht.
»Bemerkenswert!«, stimmte Brianna zu und schluckte.
»Du siehst, warum wir dich sofort erkannt haben«, fuhr ihre Tante fort und legte liebevoll die Hand auf den geschnitzten Rahmen.
»Ja. Ja, das sehe ich.«
»Es ist meine Mutter, aye? Deine Großmutter, Ellen MacKenzie.«
»Ja«, sagte Brianna. »Ich weiß.« Staubkörnchen, die sie mit ihren Schritten aufgewühlt hatte, wirbelten träge im Nachmittagslicht umher, das vom Fenster kam. Brianna fühlte sich ganz so, als wirbelte sie mit ihnen herum, nicht länger in der Realität verankert.
In zweihundert Jahren hatte sie –
Jetzt blickte ihr Ellen MacKenzie genau wie damals entgegen; langhalsig und königlich, mit einem Humor in den schräggestellten Augen, der nicht ganz bis an den feinen Mund reichte. Er war zwar nicht unbedingt ein Spiegelbild; Ellens Stirn war hoch, schmaler als Briannas, und ihr Kinn war rundlich, nicht spitz, ihr ganzes Gesicht etwas sanfter und nicht so kühn geschnitten.
Doch die Ähnlichkeit war da, und sie war so stark, dass sie erschreckend war; die breiten Wangenknochen und das dichte, rote Haar waren die gleichen. Und um ihren Hals lag die Halskette, deren Goldkugeln in der Frühlingssonne leuchteten.
»Wer hat es gemalt?«, fragte Brianna schließlich, obwohl sie die Antwort nicht wirklich hören musste. Das Schild neben dem Gemälde im Museum hatte den Künstler als »Unbekannt« angegeben.
Doch nachdem sie unten das Porträt der beiden kleinen Jungen gesehen hatte, wusste Brianna Bescheid. Das Bild war weniger meisterhaft, ein früherer Versuch – doch dieselbe Hand hatte das Haar und die Haut gemalt.