»Meine Mutter«, sagte Jenny, die Stimme von einem sehnsüchtigen Stolz erfüllt. »Sie hatte großes Geschick im Zeichnen und Malen. Ich habe mir oft gewünscht, ich hätte dieses Talent.«
Brianna spürte, wie sich ihre Finger unbewusst krümmten; die Illusion des Pinsels zwischen ihnen war einen Augenblick lang so intensiv, dass sie hätte schwören können, glattes Holz zu spüren.
Frank Randall hatte im Scherz gemeint, er könnte keine gerade Linie zeichnen; Claire, es sei das Einzige, was sie könnte. Doch Brianna hatte die Gabe der Gestaltung von Linien und Kurven, von Licht und Schatten – und jetzt hatte sie auch den Ursprung dieser Gabe gefunden.
»Ned Gowan hat es mir aus Leoch mitgebracht«, sagte Jenny und berührte den Rahmen mit einer gewissen Ehrfurcht. »Er hat es gerettet, als die Engländer das Schloss geschleift haben, nach dem Aufstand.« Sie lächelte schwach. »Er hat eine Vorliebe für die Familie, unser Ned. Er ist ein Lowlander aus Edinburgh und hat keine eigenen Verwandten, aber er hat die MacKenzies zu seinem Clan gemacht – selbst jetzt, wo es den Clan nicht mehr gibt.«
»Nicht mehr?«, platzte Brianna heraus. »Sie sind alle tot?« Der Schrecken in ihrer Stimme brachte Jenny dazu, sie überrascht anzusehen.
»Och, nein. Das habe ich nicht gemeint, Kleine. Aber Leoch steht nicht mehr«, fügte sie in leiserem Ton hinzu. »Und seine letzten Anführer leben nicht mehr – Colum und sein Bruder Dougal … sie sind für die Stuarts gestorben.«
Das hatte sie natürlich gewusst; Claire hatte es ihr erzählt. Was überraschend war, war der plötzliche Anflug unerwarteter Trauer; Bedauern um diese Fremden in ihrer neugefundenen Verwandtschaft. Mühsam schluckte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter, wandte sich um und folgte Jenny die Treppe hinauf.
»War Leoch ein großes Schloss?«, fragte sie. Ihre Tante blieb stehen, eine Hand auf dem Geländer.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. Jenny blickte zurück auf Ellens Bild, so etwas wie Bedauern im Blick.
»Ich habe es nie gesehen – und jetzt ist es fort.«
Wenn man das Schlafzimmer betrat, so war es, als käme man in eine Unterwasserhöhle. Wie alle Zimmer war auch dieses klein und hatte niedrige, von den jahrelangen Torffeuern rauchgeschwärzte Deckenbalken, doch die Wände waren frisch und weiß, und das Zimmer selbst war von einem grünlichen, wogenden Licht erfüllt, das sich durch zwei große Fenster ergoss, gefiltert von den Blättern des schwankenden Rosenstockes.
Hier und dort blinkte ein glänzender Gegenstand auf oder glitzerte im schummrigen Halbdunkel wie ein Fisch in einem Riff; eine bemalte Puppe, die auf dem Teppich vor der Feuerstelle lag, wo eines der Enkelkinder sie vergessen hatte, ein chinesischer Korb, an dessen Deckel eine durchbohrte Münze als Verzierung festgebunden war. Ein Kerzenständer aus Messing auf dem Tisch, ein kleines Gemälde an der Wand, dessen kräftige Farben sich deutlich von dem weißen Putz abhoben.
Jenny ging unverzüglich zu dem großen Kleiderschrank an der Zimmerwand und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ein großes, mit Saffianleder überzogenes Kästchen herunterzuholen, dessen Ecken vom Alter abgestoßen waren. Als sie den Deckel aufklappte, sah Brianna ein metallisches Glitzern und ein kurzes, scharfes Aufblitzen wie von Sonnenlicht auf Edelsteinen.
»Hier ist er.« Jenny brachte ein dickes Bündel aus zusammengefaltetem Papier zum Vorschein, das weitgereist und vielgelesen aussah, und drückte es Brianna in die Hand. Es war versiegelt gewesen; ein fettiger Wachsfleck klebte immer noch am Rand eines Bogens.
»Sie sind in der Kolonie North Carolina, aber sie leben nicht in der Nähe einer Stadt«, erklärte Jenny. »Jamie schreibt abends ein bisschen, wenn er kann, und er behält die Blätter, bis entweder er oder Fergus nach Cross Creek reiten oder ein Reisender vorbeikommt, der den Brief mitnimmt. So ist es angenehm für ihn; das Schreiben fällt ihm nicht leicht – besonders, seit er sich damals die Hand gebrochen hat.«
Bei dieser beiläufigen Bemerkung fuhr Brianna auf, doch das ruhige Gesicht ihrer Tante zeigte keine besondere Regung.
»Setz dich hin, Kleine.« Sie winkte mit der Hand und ließ Brianna die Wahl zwischen Hocker oder Bett.
»Danke«, murmelte Brianna und wählte den Hocker. Also wusste Jenny vielleicht nicht alles über Jamie und Black Jack Randall? Die Vorstellung, dass sie vielleicht Dinge über diesen unbekannten Mann wusste, die nicht einmal seiner geliebten Schwester bekannt waren, hatte etwas Verwirrendes. Um den Gedanken zu verscheuchen, öffnete sie eilig den Brief.