»Na, das war ja für beide einfach. Unentschieden. Okay. Pastors Katze ist eine …« Er sah, wie es in ihrem Gehirn arbeitete und wie dann ihre zusammengekniffenen blauen Augen blitzten, als ihr ein Gedanke kam. »… coccygodynische Katze.«
Bei dem Versuch, das Wort zu erraten, kniff Roger nun auch die Augen zusammen.
»Eine Katze mit einem dicken Hintern?«
Sie lachte und bremste sacht, als das Auto in eine Kurve fuhr.
»Eine Katze, die dich am Arsch kriegt.«
»Das Wort gibt es wirklich, oder?«
»Ja.« Sie beschleunigte sauber, als sie aus der Kurve herausfuhr. »Einer von Mamas medizinischen Fachbegriffen. Coccygodynie ist ein Schmerz in der Steißbeingegend. Sie nannte die Krankenhausverwaltung immer Coccygodynier.«
»Und ich dachte schon, es wäre einer von deinen Ingenieursbegriffen. Also gut. Pastors Katze ist eine cholerische Katze.« Er grinste. »Coccygodynier sind nämlich von Natur aus Choleriker.«
»Okay. Unentschieden. Pastors Katze ist …«
»Stop«, unterbrach Roger und zeigte nach draußen. »Hier ist die Abzweigung.«
Langsam bog sie von der engen Landstraße in ein noch engeres Sträßchen ein und folgte einem kleinen Schild mit roten und weißen Pfeilen, auf dem KELTISCHES FESTIVAL stand.
»Das ist lieb von dir, dass du mich den ganzen Weg hierher fährst«, sagte Roger. »Ich hatte keine Ahnung, wie weit es ist, sonst hätte ich dich nie darum gebeten.«
Sie sah ihn belustigt an.
»So weit ist es doch gar nicht.«
»Es sind fast dreihundert Kilometer!«
Sie lächelte, doch ein Hauch von Ironie schwang darin mit.
»Mein Vater hat immer gesagt, das ist der Unterschied zwischen einem Amerikaner und einem Engländer. Ein Engländer hält hundert Kilometer für eine weite Strecke, ein Amerikaner hält hundert Jahre für eine lange Zeit.«
Roger lachte überrascht.
»Stimmt genau. Du gehörst dann wohl zu den Amerikanern, oder?«
»Ich nehme es an.« Doch ihr Lächeln war erstorben.
Die Unterhaltung auch. Sie fuhren ein paar Minuten lang schweigend weiter und hörten nur das Motorengeräusch und den Fahrtwind. Es war ein wunderschöner, heißer Sommertag, und sie hatten die Bostoner Schwüle weit unter sich gelassen, als sie sich bergauf in die klarere Bergluft schlängelten.
»Pastors Katze ist auf Distanz«, sagte Roger schließlich leise. »Habe ich was Falsches gesagt?«
Sie schoss ihm einen blauen Blitz und ein halbes Lächeln zu.
»Pastors Katze ist eine dösende Katze.« Sie presste die Lippen zusammen, als sie hinter einem anderen Wagen abbremste, und entspannte sich dann. »Nein, das stimmt nicht, es
Roger verlagerte sein Gewicht und drehte sich, so dass er sie ansehen konnte.
»Pastors Katze ist eine enigmatische Katze.«
»Pastors Katze ist eine errötende Katze – ich hätte nichts sagen sollen, entschuldige.«
Roger war klug genug, sie nicht zu bedrängen. Stattdessen beugte er sich vor und suchte unter dem Sitz nach der Thermoskanne mit heißem Tee und Zitrone.
»Willst du welchen?« Er bot ihr die Tasse an, doch sie zog ein Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Nein danke. Ich hasse Tee.«
»Also bestimmt keine Engländerin«, sagte er und wünschte sich im selben Moment, er hätte den Mund gehalten, denn ihre Hände umklammerten das Lenkrad fester. Sie sagte aber nichts, und er trank schweigend seinen Tee und beobachtete sie.
Trotz ihrer Herkunft und Hautfarbe sah sie nicht wie eine Engländerin aus. Er konnte nicht sagen, ob der Unterschied nur auf die Kleidung zurückzuführen war, aber er glaubte es nicht. Amerikaner schienen so viel mehr … was? Mehr Ausstrahlung zu haben?
Intensiver zu sein? Größer? Einfach
Der Verkehr nahm zu, und als sie die Einfahrt an der Anlage erreichten, in der das Festival stattfand, kroch er nur noch dahin.
»Hör mal«, sagte Brianna abrupt. Sie sah ihn nicht an, sondern starrte durch die Windschutzscheibe auf das New-Jersey-Kennzeichen des Wagens vor ihnen. »Ich muss was erklären.«
»Mir nicht.«
Irritiert zog sie eine rote Augenbraue hoch.
»Wem denn sonst?« Sie presste die Lippen zusammen und seufzte. »Na gut, okay, mir selber auch. Trotzdem.«
Roger schmeckte die Säure des Tees bitter in seinem Gaumen. Kam jetzt der Moment, in dem sie ihm sagte, dass es ein Fehler gewesen war, herüberzukommen? Das hatte er sich auf dem Weg über den Atlantik auch gedacht, während er sich verkrampft in dem winzigen Flugzeugsessel gewunden hatte. Dann hatte er sie am anderen Ende der Ankunftshalle gesehen, und all seine Zweifel hatten sich sofort in Luft aufgelöst.
Sie waren während der vergangenen Woche nicht wiedergekehrt. Er hatte Brianna jeden Tag zumindest kurz gesehen, es am Donnerstagnachmittag sogar geschafft, sich mit ihr ein Baseballspiel im Fenwick-Park anzusehen.
Das Spiel an und für sich hatte ihn verwirrt, doch die Art, wie Brianna sich dafür begeisterte, hatte ihn bezaubert. Er ertappte sich dabei, dass er die Stunden zählte, die ihnen bis zum Abschied noch blieben, und doch hatte er sich auf heute gefreut – auf den einzigen Tag, den sie von früh bis spät miteinander verbringen konnten.