»Ja! Jetzt kommt!« Er machte einen Satz nach vorn und griff nach ihrem Arm, doch sie fuhr zurück bis an die Wand, die Gewehrmündung auf ihn gerichtet.
»Ich gehe nicht ohne ihn.« Sie leckte sich die trockenen Lippen und wies kopfnickend auf den Boden.
»Der Mann ist tot!«
»Das ist er nicht! Hebt ihn auf!«
Eine außergewöhnliche Mischung von Gefühlen überzog Bonnets Gesicht; Wut und Erstaunen waren die stärksten unter ihnen.
»Hebt ihn auf!«, wiederholte sie laut. Er stand bewegungslos da und starrte sie an. Dann hockte er sich ganz langsam hin, nahm John Greys schlaffe Gestalt in die Arme, schob seine Schulter unter Greys Bauch und hievte ihn hoch.
»Dann kommt jetzt«, sagte er und verschwand in der Dunkelheit, ohne sie noch einmal anzusehen. Sie zögerte eine Sekunde lang, ergriff dann die Laterne und folgte ihm.
Nach zwanzig Metern roch sie Rauch. Der gemauerte Korridor verlief nicht gerade, er verzweigte und wand sich, damit man in die unzähligen Kellerräume gelangen konnte. Doch er führte beständig abwärts auf das Flussufer zu. Während sie den vielen Windungen hinunter folgten, verdichtete sich der Rauchgeruch; eine übelriechende Dunstschicht trieb träge um sie herum, unübersehbar im Licht der Laterne.
Brianna hielt die Luft an und versuchte, nicht zu atmen. Trotz Greys Gewicht bewegte sich Bonnet schnell. Sie konnte kaum mithalten, da sie mit dem Gewehr und der Laterne bepackt war, doch sie hatte im Augenblick nicht vor, einen dieser Gegenstände zurückzulassen. Ihr Bauch zog sich wieder zusammen, noch einer dieser atemlosen Momente.
»Noch
Sie hatte einen Augenblick stehen bleiben müssen; Bonnet war vor ihr im Dunst verschwunden. Offenbar hatte er aber das Nachlassen des Laternenlichts bemerkt – sie hörte ihn irgendwo vor sich rufen.
»Mensch! Brianna!«
»Ich komme!«, rief sie und beeilte sich, so gut es ging. Sie watschelte und gab es auf, den Anschein von Eleganz erwecken zu wollen. Der Rauch war viel dichter, und irgendwo konnte sie ein leises Knistern hören – über ihr? Vor ihnen?
Sie atmete tief durch, obwohl es so qualmte. Sie holte stoßweise Luft und roch Wasser. Feuchtigkeit und Schlamm, totes Laub und frische Luft schnitten wie ein Messer durch den rauchigen Dunst.
Ein schwaches Glühen leuchtete durch den Rauch. Es nahm zu, als sie darauf zueilten, und ließ das Licht ihrer Laterne verblassen. Dann ragte ein dunkles Rechteck vor ihnen auf. Bonnet machte eine Wendung, ergriff ihren Arm und zog sie an die Luft hinaus.
Sie begriff, dass sie unter dem Kai waren; dunkles Wasser plätscherte vor ihnen, und Licht tanzte darauf. Spiegelungen, das Licht kam von oben und das Knistern der Flammen ebenfalls. Bonnet blieb weder stehen, noch ließ er ihren Arm los; er zog sie zur Seite in das hohe, nasskalte Gras und auf das schlammige Ufer. Nach ein paar Schritten ließ er sie los, doch sie folgte ihm. Sie holte japsend Luft, glitt rutschend aus und stolperte über ihre durchnässten Rocksäume.
Schließlich blieb er im Schatten der Bäume stehen. Er bückte sich und ließ Greys Körper zu Boden gleiten. Er blieb einen Augenblick vornübergebeugt stehen, und seine Brust hob und senkte sich, während er versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
Brianna stellte fest, dass sie beide Männer deutlich sehen konnte, jede Knospe an den Zweigen des Baumes sehen konnte. Sie drehte sich um, blickte zurück und sah, dass das Lagerhaus erleuchtet war wie eine Kürbislaterne und die Flammen durch Risse in den Holzwänden schlugen. Die riesigen Türflügel waren offen gelassen worden; während sie hinsah, schob der heiße Luftzug einen davon auf, und kleine Feuerzungen begannen, über das Dock zu kriechen, täuschend klein und verspielt.
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter, wirbelte herum und sah in Bonnets Gesicht.
»Ein Schiff wartet auf mich«, sagte er. »Ein kleines Stück flussaufwärts. Wollt Ihr vielleicht mitkommen?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie hielt nach wie vor das Gewehr im Arm, doch sie brauchte es nicht länger. Er stellte keine Bedrohung mehr für sie dar.
Er ging immer noch nicht, sondern verharrte und starrte sie an, die Stirn leicht gerunzelt. Sein Gesicht war verhärmt, und das Feuer höhlte es aus und füllte es mit Schatten. Die Wasseroberfläche stand jetzt in Flammen, und kleine Feuerzungen flackerten auf dem dunklen Wasser auf, als sich ein Terpentinfilm darauf ausbreitete.
»Ist es wahr?«, sagte er abrupt. Er bat nicht um Erlaubnis, sondern legte ihr beide Hände auf den Bauch. Bei Bonnets Berührung zog er sich erneut zusammen, rundete sich erneut in einem atemberaubenden, schmerzlosen Ziehen, und ein erstaunter Ausdruck überzog das Gesicht des Mannes.
Sie fuhr vor seiner Berührung zurück, zog ihren Umhang zusammen und nickte, unfähig zu sprechen.
Er ergriff sie am Kinn und sah ihr ins Gesicht – versuchte er vielleicht abzuschätzen, ob sie die Wahrheit sprach? Dann ließ er sie los, steckte sich einen Finger in den Mund und tastete in seiner Wangenhöhle herum.