Aber vielleicht geschah das ja doch mit gutem Grund. Überall um mich herum waren Menschen auf dem Berg – das wusste ich genau –, und dennoch fühlte ich mich vollkommen allein, durch Regen und Nebel abgeschirmt. Das Wetter war immer noch kalt, aber ich fror nicht. Das Blut pulsierte dicht unter meiner Hautoberfläche, und ich spürte, wie mir die Hitze in die Handflächen stieg. Ich streckte eine Hand nach der nächsten Kiefer aus – auf jeder ihrer Nadeln bebten Wassertropfen, ihre Rinde war schwarz vor Nässe. Ich atmete ihren Duft ein und ließ mir das kühle Wasser über die Haut laufen. Ringsum fiel still und beruhigend der Regen und durchfeuchtete meine Kleider, bis sie sanft an mir klebten wie die Wolken an einem Berg.
Jamie hatte mir einmal gesagt, dass er auf einem Berg leben musste, und jetzt wusste ich, warum das so war – auch wenn ich es nicht hätte in Worte fassen können. All meine verstreuten Gedanken traten in den Hintergrund, als ich den Stimmen der Felsen und Bäume lauschte – und den Berg wie eine Glocke ertönen hörte, ein Mal, tief unter meinen Füßen.
Ich hätte eine ganze Weile derart verzaubert dastehen können, jeden Gedanken an das Frühstück vergessen, doch die Stimmen der Felsen und Bäume verstummten und verschwanden, als neben mir auf dem Pfad klappernde Schritte ertönten.
»Mrs. Fraser.«
Es war Archie Hayes persönlich, trotz der Nässe in vollem Staat mit Barett und Schwert. Wenn es ihn überraschte, mich allein neben dem Pfad stehen zu sehen, so ließ er es sich nicht anmerken, sondern neigte den Kopf zu einem höflichen Gruß.
»Leutnant.« Ich erwiderte die Geste und spürte, wie meine Wangen erröteten, so als hätte er mich beim Baden ertappt.
»Ist Euer Gatte vielleicht in der Nähe, Ma’am?«, fragte er in beiläufigem Tonfall. Trotz meiner Verlegenheit spürte ich einen Stich des Argwohns. Korporal MacNair hatte Jamie holen wollen, und es war ihm nicht gelungen. Wenn der Berg jetzt zum Propheten kam, handelte es sich nicht um etwas Nebensächliches. Hatte Hayes vor, Jamie in eine Art Hexenjagd auf die Regulatoren hineinzuziehen?
»Ich nehme es an. Ich weiß aber nicht genau,
»Ah, dann wird er wohl beschäftigt sein«, sagte Hayes gelassen. »Ein Mann wie er hat immer viel zu tun, und heute ist schließlich der letzte Tag des
»Ja. So wird es wohl … ja.«
Das Gespräch erstarb, und ich fühlte mich zunehmend beklommen und fragte mich, wie in aller Welt ich dieser Situation entkommen konnte, ohne den Leutnant zum Frühstück einzuladen. Selbst eine Engländerin konnte nicht hoffen, dass man ihr die Unhöflichkeit durchgehen ließ, ihrem Gegenüber nichts zu essen anzubieten, ohne dass es Gerede gab.
»Äh … Korporal MacNair hat gesagt, dass Ihr Farquard Campbell ebenfalls gern sehen würdet«, sagte ich und packte den Stier bei den Hörnern. »Vielleicht ist Jamie zu ihm gegangen, um sich mit ihm zu besprechen. Zu Mr. Campbell, meine ich.« Ich wies hilfsbereit in Richtung des Campbell’schen Zeltlagers, das auf der anderen Seite des Hanges lag, fast eine Viertelmeile von Jocastas Zelt entfernt.
Hayes blinzelte, und die Tropfen liefen ihm von den Wimpern über die Wangen.
»Aye«, sagte er. »Vielleicht.« Er blieb noch ein paar Sekunden stehen, dann tippte er an sein Barett. »Guten Tag, Ma’am.« Er wandte sich ab und setzte sich bergauf in Bewegung – auf Jocastas Zelt zu. Ich stand da und sah ihm nach, und jedes Gefühl des Friedens war dahin.
»Verdammt«, murmelte ich und brach auf, um mich um das Frühstück zu kümmern.
Kapitel 2
Brote und Fische
Für unser Lager hatten wir eine Stelle gewählt, die weit abseits des Hauptpfades lag und sich auf einer kleinen, felsigen Lichtung befand, von der man eine gute Sicht auf das breite Bachufer hatte. Als ich jetzt durch das Stechpalmengebüsch einen Blick nach unten warf, konnte ich grünschwarzen Tartanstoff aufleuchten sehen, denn die letzten Soldaten zerstreuten sich. Archie Hayes hatte seine Männer ermuntert, sich unters Volk zu mischen, und die meisten leisteten diesem Befehl nur zu gern Folge.
Ich war mir nicht sicher, ob diese Vorgehensweise des Leutnants von Arglist, Geiz oder schlichter Menschenfreundlichkeit diktiert wurde. Viele seiner Soldaten waren jung, von Heimat und Familie getrennt; sie freuten sich über die Gelegenheit, wieder einmal schottische Stimmen zu hören, freundlich an einem Lagerfeuer empfangen zu werden, Suppe und Porridge angeboten zu bekommen und sich vorübergehend in der Wärme vertrauter Dinge zu sonnen.