Schnee begann zu fallen, unvermittelt und lautlos, große träge Flocken, die weniger vom Himmel zu fallen schienen, als dass sie vielmehr plötzlich auftauchten und aus der Luft gewirbelt kamen. Sie streiften sein Gesicht und verklebten ihm die Wimpern; er wischte sie fort und winkte Ian.
»Komm von hinten«, flüsterte er. »Wenn er davonläuft, schieß einen Pfeil an seiner Nase vorbei, um ihn aufzuhalten. Und halte Abstand, aye?«
»Halte
Jamie prustete kurz und stieß Ian von sich. Er lud seine Pistole, dann trat er zielsicher ins Freie und ging durch den fallenden Schnee auf die Ruine seines Hauses zu.
Er hatte schon gesehen, wie Arch aus sieben Metern Entfernung mit seiner Axt einen Truthahn erlegte. Und es stimmte, dass die meisten Pistolen auf größere Entfernung nicht mehr akkurat trafen. Doch er hatte schließlich nicht vor, den Mann zu erschießen. Er zog die Pistole und hielt sie deutlich sichtbar in der Hand.
»Arch!«, rief er. Die Gestalt hatte ihm den Rücken zugewandt und wühlte gebückt in der Asche. Bei seinem Ausruf schien sie zu erstarren, blieb aber in der Hocke.
»Arch Bug!«, rief er. »Kommt heraus da, Mann. Ich will mit Euch sprechen!«
Als Antwort richtete sich die Gestalt abrupt auf, wandte sich um, und ein Feuerstrahl erleuchtete den fallenden Schnee. Im selben Moment versengte ihm die Flamme den Oberschenkel, und er stolperte.
Vor allem war er überrascht; er hatte noch nie erlebt, dass Arch Bug eine Pistole benutzte, und er war beeindruckt, dass er so gut zielen konnte mit seiner linken –
Er selbst war im Schnee auf sein Knie gesunken, doch im selben Moment, als er die Waffe hob, um zu zielen, wurden ihm zwei Dinge klar: Die schwarze Gestalt zielte mit einer zweiten Pistole auf ihn – aber nicht mit der linken Hand. Was bedeutete –
»Großer Gott! Ian!« Doch Ian hatte ihn fallen sehen, und die zweite Pistole hatte er ebenfalls gesehen. Im Flüstern von Wind und Schnee hörte Jamie den Flug des Pfeiles nicht; wie von Zauberhand tauchte er auf und steckte im Rücken der Gestalt. Die Gestalt richtete sich auf und erstarrte, dann fiel sie als Häufchen zu Boden. Fast noch bevor sie am Boden auftraf, war er unterwegs, rannte, humpelte, weil sein rechtes Bein bei jedem Schritt unter ihm nachgab.
»Gott, nein, Gott, nein«, sagte er, und es klang wie die Stimme eines anderen.
Eine Stimme drang durch Schnee und Nacht, ein verzweifelter Ausruf. Dann schoss Rollo an ihm vorbei, eine verwischte Gestalt – wer hatte ihn ins Freie gelassen? –, und ein Gewehrschuss knallte aus dem Wald. Ian brüllte irgendwo in der Nähe und rief den Hund, doch er hatte keine Zeit, danach zu sehen, holperte achtlos über die geschwärzten Steine, rutschte auf der frischen Schneeschicht aus, stolperte, sein Bein war kalt und heiß zugleich, doch das war gleichgültig,
Er erreichte die schwarze Gestalt, warf sich neben ihr auf die Knie und fasste nach ihr. Er wusste es sofort; er hatte es in der Sekunde gewusst, in der er begriff, dass die Frau die Pistole in der Rechten hielt. Arch konnte mit seinen fehlenden Fingern keine Pistole rechtshändig abfeuern. Aber, o Gott, nein …
Er hatte sie umgedreht, spürte den gedrungenen, schweren Körper schlaff und sperrig wie ein frisch erlegtes Stück Rotwild. Schob die Kapuze des Umhangs zurück und fuhr mit der Hand sacht und hilflos über das sanfte, runde Gesicht Murdina Bugs. Sie atmete in seine Hand … Vielleicht … Doch er spürte auch den Pfeilschaft mit der Hand. Er war ihr durch den Hals gedrungen, und ihr Atem blubberte feucht, seine Hand wurde feucht und warm.
»Arch?«, sagte sie heiser. »Ich will Arch.« Und starb.
Kapitel 3
Leben um Leben
Ich brachte Jamie in die Vorratskammer. Es war dunkel und kalt, vor allem für einen Mann, der keine Hose anhatte, doch ich wollte nicht riskieren, dass irgendein Higgins wach wurde. Gott, nicht jetzt. Sie würden alle aus ihrer Zuflucht platzen wie ein Wachtelschwarm in Panik – und ich schwitzte bei der bloßen Vorstellung, mich früher als unbedingt nötig mit ihnen befassen zu müssen. Es würde schon bei Tageslicht furchtbar genug sein, ihnen sagen zu müssen, was geschehen war; jetzt konnte ich mich mit diesem Gedanken nicht befassen.
Mangels besserer Alternativen hatten Jamie und Ian Mrs Bug neben Großmütterchen MacLeod in die Vorratskammer gelegt und sie unter dem niedrigsten Wandbord verstaut, den Umhang über das Gesicht gezogen. Ich konnte ihre Füße hervorlugen sehen mit ihren rissigen, abgenutzten Schuhen und den gestreiften Strümpfen. Ich hatte eine blitzartige Vision der bösen Hexe des Westens und schlug mir die Hand vor den Mund, bevor mir irgendetwas wahrhaft Hysterisches entfahren konnte.
Jamie wandte mir den Kopf zu, doch sein Blick war nach innen gekehrt, sein eingefallenes Gesicht im Schein der Kerze von tiefen Falten durchzogen.
»Häh?«, sagte er vage.