Ringsum im Zimmer haben sich so viele Schichten seiner Lebenserinnerungen angehäuft, bis eine jener Rumpelkammern alter Leute entstanden ist, deren Geheimnisse nur ihnen allein bekannt sind. Es ist ein Durcheinander von alten Zeitschriften, Schallplatten, die kein Mensch mehr hört, verschiedenartigsten Gegenständen und Fotos aus allen Epochen, die unter dem Rahmen eines großen Spiegels stecken. Da ist Papa im Matrosenanzug, wie er mit dem Reifen spielt, vor dem Ersten Weltkrieg, meine Tochter mit acht Jahren als Amazone und eine Aufnahme von mir, schwarzweiß, auf einem Minigolfplatz. Ich war elf Jahre alt, hatte Blumenkohlohren und sehe aus wie ein etwas dummer Streber, was um so haarsträubender ist, als ich damals schon ein professioneller Faulpelz war.
Ich beende mein Amt als Barbier damit, meinen Erzeuger mit seinem Lieblingstoilettenwasser zu besprengen. Dann verabschieden wir uns, ohne daß er, wie sonst oft, auf den Brief in seinem Schreibtisch zu sprechen kommt, in dem sein Letzter Wille steht. Seither haben wir uns nicht wiedergesehen. Ich verlasse meine Sommerfrische in Berck nicht, und mit zweiundneunzig Jahren erlauben ihm seine Beine nicht mehr, die majestätische Treppe seines Wohnhauses hinunterzusteigen. Wir haben beide das Locked-in-Syndrom, jeder auf seine Weise, ich in meinem Gehäuse, er in seinem dritten Stock. Jetzt werde ich jeden Morgen rasiert, und ich denke oft an ihn, wenn ein Pfleger mir mit einer acht Tage alten Klinge sorgfältig die Wangen schabt. Ich hoffe, ich habe einen aufmerksameren Figaro abgegeben.
Hin und wieder ruft er mich an, und ich kann seine warmherzige Stimme hören, die ein wenig in dem Hörer zittert, den eine hilfreiche Hand an mein Ohr drückt. Es ist bestimmt nicht einfach, mit einem Sohn zu sprechen, von dem man ganz genau weiß, daß er nicht antworten wird. Er hat mir auch das Foto vom Minigolfplatz geschickt. Zuerst habe ich nicht verstanden, warum. Es wäre ein Rätsel geblieben, wenn nicht jemand auf die Idee gekommen wäre, auf die Rückseite zu sehen. Mit einem Mal sind in meinem privaten Kino lange vergessene Bilder erschienen, Bilder eines Wochenendes im Frühling, an dem meine Eltern mit mir zum Durchlüften in einen windigen Marktflecken, in dem nicht viel los war, gefahren waren. Mit seiner regelmäßigen, gestochenen Handschrift hat Papa auf dem Foto nur vermerkt: Berck-sur-Mer, April 1963.
Noch ein Zufall
Fragte man die Leser von Alexandre Dumas, in welcher seiner Figuren sie gern wiedergeboren würden, die meisten würden sich wohl für D'Artagnan oder Edmond Dantes entscheiden, und keiner käme auf die Idee, Noirtier de Villefort zu nennen, die ziemlich sinistre Figur aus
Seit mein Geist aus dem dichten Nebel aufgetaucht ist, in den mein Hirnschlag ihn versenkt hatte, habe ich viel an Opapa Noirtier gedacht. Ich hatte den
Ich habe nun also keine Zeit gehabt, diese verbrecherische Majestätsbeleidigung zu begehen. Als Strafe wäre ich lieber in andere Figuren aus dem Roman, in Baron Danglars, in Frantz d'Epinay, in Abbé Faria, verwandelt worden oder hätte alles in allem lieber zehntausendmal schreiben müssen: Man tändelt nicht mit Meisterwerken. Die Götter der Literatur und der Neurologie haben anders darüber entschieden.
An manchen Abenden habe ich das Gefühl, daß Opapa Noirtier mit seinem langen weißen Haar und seinem hundert Jahre alten Rollstuhl, der einen Tropfen Öl brauchte, in unseren Fluren patrouilliert. Um die Beschlüsse des Schicksals umzukehren, habe ich jetzt eine große Saga im Kopf, in der der entscheidende Zeuge eher ein Läufer als ein Gelähmter ist.
Man weiß ja nie. Vielleicht klappt es.
Der Traum
Im allgemeinen erinnere ich mich nicht an meine Träume.