Читаем Schmetterling und Taucherglocke полностью

Wir ließen uns mitreißen bis zur unterirdischen Basilika von Johannes XXIII., diesem gigantischen Gebetshangar, in dem von sechs Uhr morgens bis Mitternacht mit einem Priesterwechsel nach jeweils zwei oder drei Gottesdiensten die Messe gelesen wird. Ich hatte in einem Führer gelesen, daß das Betonkirchenschiff größer ist als der Petersdom in Rom und mehrere Jumbo-Jets darin Platz gefunden hätten. Ich folgte Joséphine auf eine der Emporen, wo unter einem der unzähligen Lautsprecher, welche die Zeremonie mit vielen Echos übertrugen, noch Plätze frei waren. »Gerühmt sei Gott im allerhöchsten Himmel … allerhöchsten Himmel … Himmel…« Bei der Erhebung der Hostie holte mein Nebenmann, ein vorausschauender Pilger, ein Fernglas fürs Pferderennen aus seinem Rucksack, um die Operationen zu beaufsichtigen. Andere Gläubige hatten behelfsmäßige Sehrohre dabei, wie man sie beim Umzug am 14. Juli sieht.

Joséphines Vater hatte mir oft erzählt, wie er mit dem Verkauf solcher Artikel an den Metro-Eingängen angefangen hatte, Geld zu verdienen. Das hatte ihn nicht davon abgehalten, eine große Nummer beim Rundfunk zu werden. Nunmehr setzte er sein Talent als Straßenhändler dazu ein, Fürstenhochzeiten, Erdbeben und Boxkämpfe zu kommentieren. Draußen hatte der Regen aufgehört. Die Luft hatte sich abgekühlt. Joséphine ließ das Wort »shopping« verlauten. Um dieser Möglichkeit vorzubeugen, hatte ich die Hauptstraße ausfindig gemacht, in der die Andenkenläden dicht an dicht lagen wie in einem orientalischen Souk und den extravagantesten religiösen Kitsch zur Schau stellten.

Joséphine sammelte: alte Parfumflakons, ländliche Bilder mit einzelner Kuh oder Kuhherde, Teller mit unechten Speisen, wie sie in den Auslagen der Restaurants in Tokio als Speisekarte dienen, und ganz allgemein das Kitschigste, was sie auf ihren zahlreichen Reisen fand. Hier nun war es wirklich Liebe auf den ersten Blick. Im vierten Geschäft, auf dem linken Bürgersteig schien sie Joséphine in einem Wirrwarr von frommen Münzen, Schweizer Kuckucksuhren und Käsetellern zu erwarten. Eine reizende Stuckbüste mit einem blinkenden Heiligenschein, der aussah wie Christbaumschmuck.

»Da ist meine Jungfrau Maria!« triumphierte Joséphine.

»Ich schenke sie dir«, sagte ich sofort, ohne eine Vorstellung von dem Betrag, den der Händler mir mit der Behauptung, es sei ein Einzelstück, abknöpfen sollte. Am Abend in unserem Hotelzimmer feierten wir unsere Anschaffung in ihrem blinkenden, heiligen Licht. An der Decke zeichnete sich ein phantastischer Schatten ab.

»Weißt du, Joséphine, ich glaube, wir müssen uns trennen, wenn wir wieder in Paris sind.«

»Meinst du, ich hätte das noch nicht kapiert!«

»Aber Jo …« Sie war eingeschlafen. Sie hatte die Gabe, augenblicklich in schützenden Schlaf zu fallen, wenn eine Situation ihr mißfiel.

Sie beurlaubte sich für fünf Minuten oder mehrere Stunden vom Leben. Eine Weile beobachtete ich, wie das Stück Wand über dem Kopfende des Bettes aus der Dunkelheit trat und wieder verschwand. Welcher Dämon konnte Leute dazu treiben, ein ganzes Zimmer mit orangefarbener Jute zu bespannen?

Da Joséphine noch immer schlief, zog ich mich leise an, um einer meiner Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen: nächtliches Umherstreifen. Das war meine Art, gegen Widrigkeiten anzukämpfen: bis zur Erschöpfung vor mich hin zu laufen. Auf der Straße kippten holländische Jugendliche geräuschvoll große Schoppen Bier hinunter. Sie hatten Löcher in Müllsäcke geschnitten, um sich Regenmäntel daraus zu machen. Schwere Gitter verwehrten den Zugang zur Grotte, aber durch sie hindurch konnte man den Schein von Hunderten von Kerzen sehen, die dort herunterbrannten. Viel später führte mich mein Umherirren wieder in die Straße der Andenkenläden. Im vierten Schaufenster hatte eine völlig identische Maria bereits den Platz der unseren eingenommen.

Da bin ich zum Hotel zurückgegangen, und schon von weitem sah ich unser Zimmer, das mitten im Halbdunkel blinkte. Ich bin die Treppe hinaufgestiegen und habe mich dabei bemüht, die Träume des Nachtportiers nicht zu stören. Die Spur der Schlange lag wie ein Schmuckstück in seinem Kästchen aufgeschlagen auf meinem Kopfkissen. »Ach«, murmelte ich, »Charles Sobraj, den hatte ich völlig vergessen.« Ich erkannte Joséphines Schrift. Ein riesiges I lief quer über die Seite 168. Es war der Anfang einer Botschaft, die sich über gut zwei Kapitel des Buchs hinzog und sie ganz unlesbar machte.

Ich liebe dich, Ducon. Laß deine Joséphine nicht leiden.

Zum Glück war ich mit der Lektüre schon weiter.

Als ich die Jungfrau Maria ausknipste, brach gerade der neue Tag an.

Der Vorhang

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