Читаем Schmetterling und Taucherglocke полностью

Mir ist schleierhaft, wie Céleste sich ein solches Repertoire von Sechziger-Jahre-Schlagern zulegen konnte. Johnny, Sylvie, Sheila, Clo-Clo, Françoise Hardy - kein Star dieses Goldenen Zeitalters fehlt beim Appell. Neben den allseits bekannten großen Hits - so unverwüstlichen Evergreens wie dieser Zug von Richard Antony, der nach dreißig Jahren nie wirklich aufgehört hat, in unseren Ohren zu pfeifen - singt Céleste vergessene Schlager, die Wolken von Erinnerungen hinter sich herziehen. Seit der Zeit, als ich diese Single von Claude François, genannt Clo-Clo, auf den Teppaz-Plattenspieler legte, den ich mit zwölf besaß, habe ich seine Pauvre petite fille riche bestimmt nicht wieder gehört. Doch sobald Céleste - ziemlich falsch, übrigens - die ersten Takte dieses Ohrwurms trällert, fällt mir unerwartet präzise jeder Ton, jede Strophe, jede Einzelheit des Chors oder der Orchestrierung wieder ein, bis hin zum Tosen der Brandung, das über der Einleitung liegt. Ich sehe die Plattenhülle vor mir, das Foto des Sängers, sein gestreiftes Hemd mit Button-down-Kragen, das ein unerreichbarer Traum für mich war, weil meine Mutter es vulgär fand. Ich erinnere mich sogar an den Donnerstagnachmittag, an dem ich diese Platte bei einem Cousin meines Vaters kaufte, einem sanften Hünen, der einen winzigen Laden im Untergeschoß der Gare du Nord hatte und dem eine ewige Mais-Gitane im Mundwinkel hing. Si seule sur cette plage, pauvre petite fille riche… Die Zeit ist vergangen, und die Menschen verschwinden allmählich. Mama ist als erste gestorben, dann hat Clo-Clo sich mit einem Stromschlag getötet, und auch der nette Cousin, mit dessen Geschäft es langsam bergab ging, ist abgetreten und hat einen untröstlichen Anhang von Kindern und Tieren hinterlassen. Mein Schrank ist voller Button-down-Hemden, und ich glaube, der kleine Schallplattenladen wurde von einem Pralinenhändler übernommen. Da der Zug nach Berck von der Gare du Nord abfährt, werde ich eines Tages vielleicht jemanden bitten, im Vorbeigehen nachzusehen.

»Bravo, Céleste!« ruft Sylvie. »Mama, mir reicht's«, murrt Théophile. Es ist fünf Uhr. Das Läuten, das mir sonst so freundschaftlich erscheint, bekommt etwas von einer Totenglocke, weil es den Augenblick der Trennung verkündet.

Der Wind bringt ein bißchen Sand zum Fliegen. Das Meer hat sich so weit zurückgezogen, daß die Badenden nur noch winzige Punkte am Horizont sind. Vor der Rückfahrt wollen sich die Kinder am Strand austoben, und Sylvie und ich bleiben allein. Schweigend drückt sie meine leblosen Finger. Hinter ihrer dunklen Brille, die einen wolkenlosen Himmel spiegelt, weint sie leise über unser aus den Fugen geratenes Leben.

In meinem Zimmer treffen wir uns für die letzten Gefühlsbezeigungen. »Wie geht's dir, mein Freund?« Dem Freund ist die Kehle zugeschnürt, er hat Sonnenbrand auf den Händen, und sein Steißbein ist vom zu langen Sitzen im Rollstuhl zu Brei geworden, aber er hatte einen wunderbaren Tag. Und ihr, ihr Jungen, welche Erinnerung werdet ihr an diese Ausflüge in meine unendliche Einsamkeit bewahren?

Sie sind weg. Das Auto muß schon auf Paris zurasen. Ich versenke mich in die Betrachtung einer Zeichnung von Céleste, die gleich an der Wand aufgehängt wurde. Eine Art Fisch mit zwei Köpfen, von blauen Wimpern gesäumten Augen und bunten Schuppen. Das Interessante an der Zeichnung sind nicht diese Einzelheiten, sondern ihre Form, die auf verwirrende Weise dem mathematischen Symbol für Unendlich entspricht.

Die Sonne strömt zum Fenster herein. Um diese Zeit fallen ihre blendenden Strahlen genau auf das Kopfende meines Bettes. In der Rührung des Abschieds habe ich vergessen, ihnen ein Zeichen zu geben, den Vorhang zuzuziehen. Vor dem Ende der Welt wird schon noch ein Pfleger vorbeikommen.

Paris

Ich entferne mich. Langsam, aber sicher. So wie der Seemann auf einer Überfahrt die Küste verschwinden sieht, von der er aufgebrochen ist, fühle ich meine Vergangenheit verschwimmen. Mein früheres Leben brennt noch in mir, wird aber mehr und mehr zur Asche der Erinnerung.

Seit ich an Bord meiner Taucherglocke untergebracht bin, habe ich trotzdem zwei Blitzreisen nach Paris in eine Klinik gemacht, um die Meinungen der medizinischen Koryphäen einzuholen. Beim ersten Mal hat mich Rührung überwältigt, als der Krankenwagen zufällig an dem ultramodernen Gebäude vorbeifuhr, in dem ich früher mein verwerfliches Gewerbe als Chefredakteur einer berühmten Frauenzeitschrift ausübte.

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