— Zum letzten Mal haben wir vor Gibarians Tod ein Bulletin abgeschickt. Das ist über zwei Monate her. Wir müssen festhalten, wie der genaue Verlauf des Erscheinens…
— Hörst du noch nicht auf? — ich packte ihn an der Schulter.
— Du kannst mich schlagen — sagte er — aber reden werde ich doch. Ich ließ ihn los.
— Tu, was du willst.
— Es geht darum, daß Sartorius versuchen wird, gewisse Tatsachen zu verheimlichen. Dessen bin ich so gut wie sicher.
— Und du nicht?
— Nein. Jetzt nicht mehr. Das ist nicht nur unsere Angelegenheit. Es handelt sich, du weißt, worum es sich handelt. Er hat intelligentes Handeln bekundet. Die Fähigkeit zu organischer Synthese höchster Ordnung, wie wir sie nicht kennen. Er kennt den Aufbau, die Feinstruktur, den Stoffwechsel unserer Körper…
— Gut — sagte ich. — Warum hast du zu sprechen aufgehört? Er hat an uns eine Serie… eine Serie… von Experimenten vollzogen. Psychische Vivisektion. An Hand von Wissen, das er aus unseren Köpfen gestohlen hat, ohne Rücksicht auf das, was wir anstreben.
— Das sind bereits keine Tatsachen und nicht einmal mehr Schlußfolgerungen. Das sind Hypothesen. In gewissem Sinne hat er berücksichtigt, was in unserem Geist ein geschlossener, verborgener Teil gewollt hat. Das waren vielleicht… Geschenke…
— Geschenke! Du lieber Gott! Ich begann zu lachen.
— Hör auf! — rief er und faßte mich bei der Hand. Ich drückte seine Finger zusammen. Ich drückte immer fester, bis die Knochen krachten. Er schaute mich mit eingekniffenen Augen an und zuckte nicht. Ich ließ ihn los und ging fort in die Ecke. Mit dem Gesicht zur Wand stehend, sagte ich:
— Ich werde mich bemühen, kein Getue zu machen.
— Lassen wir das alles. Was fordern wir an?
— Sag du es. Ich kann jetzt nicht. Hat sie etwas gesagt, bevor…?
— Nein. Nichts. Ich für mein Teil meine, daß jetzt eine Chance entstanden ist.
— Chance? Was für eine Chance? Worauf? Ah… — sagte ich leiser, ihm in die Augen schauend, denn ich hatte plötzlich verstanden. — Der Kontakt? Schon wieder der Kontakt? Haben wir noch nicht genug, du, du selbst, und dieses ganze Irrenhaus… Kontakt? Nein, nein, nein. Ohne mich.
— Warum? — fragte er völlig ruhig. — Kelvin, fortwährend, und jetzt noch mehr denn je, behandelst du ihn instinktiv als Menschen. Du haßt ihn.
— Und du nicht…? — versetzte ich.
— Nein. Kelvin, er ist ja blind…
— Blind? — wiederholte ich, nicht sicher, ob ich recht gehört hatte.
— Versteht sich, in unserem Sinne. Wir existieren für ihn nicht so wie füreinander. Die Oberfläche unseres Gesichts, unseres Körpers, bewirkt, daß wir einander als Individuen erkennen.
Das ist für ihn eine durchsichtige Glasscheibe. Er ist doch ins Innere unserer Gehirne eingedrungen.
— Also gut. Aber was folgt daraus? Worauf willst du hinaus? Wenn er es zuwegebrachte, einen Menschen zu beleben, zu schaffen, der nicht existiert, außer in meinem Gedächtnis, und dies so, daß ihre Augen, die Bewegungen, die Stimme… die Stimme…
— Sprich weiter! Sprich weiter, hörst du!!!
— Ich spreche… ich spreche…..Gut. Also… die Stimme… so folgt daraus, daß er in uns
lesen kann wie in einem Buch. Weißt du, was ich sagen will?
— Ja. Daß er sich mit uns verständigen könnte, wenn er wollte?
— Natürlich. Ist das nicht selbstverständlich?
— Nein. Ganz und gar nicht. Er kann ja auch nur die Produktionsanleitung genommen haben, die nicht aus Wörtern besteht. Als fixierte Gedächtnisaufzeichnung ist sie eine Eiweißstruktur. Wie der Kopf einer Samenzelle oder das Ei. Dort, im Gehirn, gibt es ja keine Wörter, keine Gefühle, die Erinnerung an einen Menschen ist ein Bild, das in der Sprache der Nukleinsäuren auf großmolekularen asynchronen Kristallen aufgezeichnet ist. Er also hat das genommen, was am deutlichsten in uns eingeätzt war, am geschlossensten, am vollständigsten, und am tiefsten eingeprägt, verstehst du? Aber er muß durchaus nicht gewußt haben, was das für uns ist, welche Bedeutung das hat. Das ist so, als verstünden wir eine Symmetriade zu schaffen, und würfen sie in den Ozean, und wüßten dabei Bescheid über die Architektur, die Techniken und die Baumaterialien, ohne doch zu verstehen, wozu, zu welchem Zweck sie dient, was das für ihn ist…
— Das ist möglich — sagte ich. — Ja, das ist möglich. In diesem Fall hat er gar nicht… hat er uns vielleicht gar nicht so zertreten und zerquetschen wollen. Kann sein. Und nur unabsichtlich…
Die Lippen begannen mir zu flattern.
— Kelvin!
— Ja, gut. Gut. Eh nichts mehr. Du bist gut. Er auch. Alle sind gut. Aber warum? Erklär mir das. Warum? Wozu hast du das getan? Was hast du ihr gesagt?
— Die Wahrheit.
— Die Wahrheit, die Wahrheit! Was?
— Das weißt du doch. Komm jetzt zu mir. Wir schreiben den Bericht. Komm.
— Wart einmal. Was willst du eigentlich? Du hast doch nicht vor, in der Station zu bleiben…?
— Ich will bleiben. Ja.
Das alte Mimoid