»Sie haben … oooh. Ooooh.« Sie musterte ihn über ihr Glas hinweg, und ihre Augen bewegten sich nicht. In ihnen lag eine Mischung aus Staunen, Bewunderung und Entsetzen. »Und was werden Sie jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie arbeiten nicht?«
»Nein.«
»Was tun Sie dann den ganzen Tag?«
»Ich fahre auf der Autobahn.«
»Und abends sehen Sie fern?«
»Und ich trinke. Manchmal mache ich mir Popcorn. Nachher werde ich uns Popcorn machen.«
»Ich esse kein Popcorn.«
»Dann werde ich es essen.«
Sie drückte auf den AUS-Knopf des Telecommanders (er bezeichnete ihn manchmal insgeheim als ›Modul‹, denn heutzutage war man geneigt zu glauben, daß alle Dinge, die etwas an- oder ausschalteten, Module sein müßten), und das Fernsehbild zog sich zu einem winzigen Punkt zusammen und verschwand schließlich ganz.
»Ich will mal sehen, ob ich das in eine Reihe kriege«, sagte sie. »Sie haben also Ihre Frau und Ihre Arbeit sausen lassen und …«
»Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.«
»Ist ja egal. Sie haben Sie wegen dieser Straße verloren, ist das richtig?«
Er blickte unsicher auf den leeren Bildschirm. Obwohl er den Sendungen niemals konzentriert folgte, fühlte er sich doch äußerst unwohl, wenn der Kasten nicht lief. »Ich weiß nicht, ob das so richtig ist«, sagte er. »Man braucht eine Sache nicht immer gleich zu verstehen, nur weil man sie getan hat.«
»War es aus Protest?«
»Ich
All diese Leute haben doch gegen den Krieg protestiert, weil sie den Frieden für viel besser halten. Die Leute protestieren gegen die Rauschgiftgesetze, weil sie denken, daß andere Rauschgiftgesetze fairer seien oder mehr Spaß brächten oder weniger Schaden anrichten würden oder … ich weiß nicht.
Machen Sie doch bitte den Fernseher wieder an.«
»Einen Augenblick noch.« Ihm wurde wieder bewußt, wie grün ihre Augen waren, durchdringend wie die einer Katze.
»Haben Sie das getan, weil Sie die Straße hassen? Die technisierte Gesellschaft, die sie repräsentiert? Die dehumanisierende Wirkung der …«
»Nein«, sagte er. Es war so schwierig, ehrlich zu sein, und er fragte sich, warum er sie nicht einfach mit einer Lüge abspeiste, die die Diskussion schnell beenden würde. Sie war genau wie all die anderen jungen Leute, wie Vinnie Mason, die alle glaubten, daß die Wahrheit in der Bildung läge. Sie wollte Propaganda mit Schaubildern und allem Drum und Dran, aber keine Antwort. »Ich habe die Leute mein ganzes Leben lang Straßen und Häuser bauen sehen. Ich habe nie besonders darüber nachgedacht. Es war bloß immer ärgerlich, eine Umleitung benutzen oder auf der anderen Straßenseite gehen zu müssen, weil sie den Bürgersteig aufgerissen haben oder ein Gebäude abrissen oder …«
»Aber als es Ihr Heim traf …
»Ja, gut, ich habe nein gesagt.« Aber er wußte nicht, zu was er nein gesagt hatte. Oder hatte er nicht eher ja gesagt? Hatte er nicht endlich einem zerstörerischen Impuls nachgegeben, den er schon immer in sich herumgetragen hatte, genauso wie der eingebaute Selbstzerstörungsmechanismus von Charlies Gehirntumor? Er wünschte sich sehnlichst, daß Freddy sich mal wieder meldete. Freddy hätte ihr alles sagen können, was sie hören wollte. Aber Freddy hatte sich offenbar ganz zurückgezogen.
»Sie sind entweder verrückt oder eine wirklich bemerkenswerte Persönlichkeit«, sagte sie.
»Nur die Personen in Büchern sind bemerkenswert«, erwiderte er. »Machen Sie jetzt den Fernseher wieder an.«
Sie gehorchte. Er ließ sie das Programm wählen.
»Was trinken Sie da eigentlich?«
Es war Viertel vor neun. Er war ein bißchen beschwipst, aber lange nicht so betrunken, als wenn er jetzt allein gewesen wäre. Er stand in der Küche und machte Popcorn. Es gefiel ihm zuzusehen, wenn die Körner in der Glasschüssel aufgingen. Sie schoben sich mit einer Gewalt nach oben wie ein Schneesturm, der allerdings nicht von oben fiel sondern von unten hochstieg.
»Southern Comfort mit Seven-up«, antwortete er.
»Was?«
Er lachte verlegen.
»Darf ich das mal probieren?« Sie hielt ihm ihr leeres Glas hin und lächelte. Es war das erste völlig ungezwungene Lächeln, seit sie in sein Auto gestiegen war. »Sie mixen einen lausigen Screwdriver.«
»Ich weiß«, sagte er. »Southern Comfort und Seven-up ist mein Privatdrink. In der Öffentlichkeit trinke ich Scotch. Aber ich hasse Scotch.«
Das Popcorn war fertig, und er schüttete es in eine große Plastikschüssel.
»Kann ich einen haben?«
»Natürlich.«
Er mixte ihr einen Southern Comfort mit Seven-up und ließ dann ein großes Stück Butter über dem Popcorn schmelzen.
»Das wird Ihnen eine Menge Cholesterin in den Blutkreislauf jagen«, bemerkte sie. Sie lehnte sich an den Türrahmen zwischen Eßzimmer und Küche und nippte vorsichtig an ihrem Drink. »He, das
»Selbstverständlich. Bewahren Sie es als Geheimnis, und Sie sind den anderen immer eine Nasenlänge voraus.«
Er salzte das Popcorn.
»Das Cholesterin blockiert Ihr Herz«, dozierte sie weiter.