Wieder der gleiche Kehricht, die gleichen Abfälle auf der Wendeltreppe, die Türen aller Wohnungen standen wieder weit offen, wieder dieselben Küchen, aus denen Dunst und Gestank kam. Raskolnikow war seit damals nicht mehr hier gewesen. Seine Beine erstarrten und knickten ein, bewegten sich aber doch. Er blieb einen Augenblick stehen, um Atem zu schöpfen, um sich zu erholen und als Mensch einzutreten. – Aber wozu? Warum? – dachte er plötzlich, als er seine Bewegung bemerkte. – Wenn ich schon diesen Kelch trinken muß, so ist doch alles gleich! Je schlimmer, um so besser. – Er stellte sich plötzlich die Gestalt des Ilja Petrowitsch »Pulver« vor. – Muß ich denn wirklich zu ihm? Kann ich nicht zu einem anderen? Kann ich nicht zu Nikodim Fomitsch? Sofort umkehren und zum Revieraufseher selbst in die Wohnung gehen? Dann wird sich alles ganz familiär abspielen ... Nein, nein! Zu Pulver, zu Pulver ... Wenn ich schon trinken soll, dann alles auf einmal ... –
Fröstelnd und kaum seiner Sinne mächtig, öffnete er die Tür zum Polizeibureau. Diesmal waren sehr wenig Menschen da: er sah einen Hausknecht und noch einen einfachen Mann. Der Bureaudiener schaute nicht einmal hinter seinem Verschlag heraus. Raskolnikow ging ins nächste Zimmer. – Vielleicht geht es auch, daß ich gar nichts sage, – ging es ihm durch den Kopf. Irgendein Mensch, wahrscheinlich ein Schreiber, in Zivilkleidung, schickte sich gerade an, etwas auf seinem Pulte zu schreiben. In einer Ecke machte sich noch ein Schreiber an die Arbeit. Samjotow war nicht da. Auch Nikodim Fomitsch war natürlich noch nicht da.
»Ist niemand da?« wandte sich Raskolnikow an den Mann am Pulte.
»Wen wünschen Sie?«
»Ah! Man hört nichts, man sieht nichts, riecht aber den Russen ... wie heißt es noch in dem Märchen ... hab es vergessen! M-meine Hochachtung!« rief plötzlich eine bekannte Stimme.
Raskolnikow erzitterte. Vor ihm stand Pulver; er war plötzlich aus dem dritten Zimmer gekommen. – Das ist das Schicksal selbst – dachte Raskolnikow. – Warum ist er hier? –
»Zu uns? In welcher Angelegenheit?« rief Ilja Petrowitsch. (Er war anscheinend in ausgezeichneter, sogar etwas erregter Stimmung.) – »Wenn in einer geschäftlichen, so sind Sie zu früh gekommen. Ich selbst bin nur ganz zufällig hier ... Übrigens stehe ich zu Ihren Diensten. Ich muß Ihnen gestehen ... wie? Wie? Entschuldigen Sie ...«
»Raskolnikow.«
»Ach was, Raskolnikow! Konnten Sie denn wirklich annehmen, daß ich es vergessen hätte! Halten Sie mich, bitte, nicht für so einen ... Rodion Ro ... Ro ... Rodionytsch, ich glaube, so?«
»Rodion Romanytsch.«
»Ja, ja, ja! Rodion Romanytsch, Rodion Romanytsch! Darauf wollte ich eben kommen. Habe mich sogar einigemal erkundigt. Ich muß Ihnen gestehen, ich habe seit damals aufrichtig bedauert, daß wir Sie damals so ... man hat es mir später erklärt; ich erfuhr, daß Sie ein junger Literat sind und sogar Gelehrter ... und sozusagen die ersten Schritte ... O Gott! Wer von den Literaten und Gelehrten hat seine Karriere nicht mit originellen Schritten begonnen! Ich und meine Frau – wir beide schätzen die Literatur, meine Frau sogar leidenschaftlich! Die Literatur und die Kunst! Wenn man bloß eine edle Gesinnung hat, alles andere kann man aber durch Talent, Wissen, Verstand und Genie erwerben! So ein Hut – nun, was bedeutet zum Beispiel ein Hut? Ein Hut ist eine Art Pfannkuchen, ich kann ihn mir beim Bäcker kaufen; aber was unter dem Hut ist und vom Hut verdeckt wird, das kann ich mir nicht kaufen! ... Ich gestehe, ich wollte Sie sogar besuchen, um mich mit Ihnen auszusprechen, glaube aber, daß Sie ... Aber ich vergesse ganz, Sie zu fragen, ob Sie nicht wirklich etwas wünschen. Man sagt, Sie hätten Besuch von Ihren Verwandten?«
»Ja, meine Mutter und meine Schwester ...«
»Ich hatte sogar die Ehre und das Glück, Ihre Schwester zu treffen, – eine gebildete und reizende Dame. Ich muß gestehen, ich bedauerte sehr, daß wir damals in Hitze gekommen waren. Ein unangenehmer Fall! Daß ich Sie aber damals infolge Ihrer Ohnmacht so sonderbar angeblickt habe, das hat sich später auf die glänzendste Weise aufgeklärt! Aberglaube und Fanatismus! Ich begreife vollkommen Ihre Entrüstung. Vielleicht wollen Sie infolge der Ankunft Ihrer Angehörigen die Wohnung wechseln?«
»N-nein, ich bin nur so ... Ich bin gekommen, zu fragen ... ich glaubte, daß ich Samjotow hier treffen würde.«