Insgesamt verhielt sie sich, als sei nichts Ungewöhnliches passiert. Was bedeuten konnte, dass entweder tatsächlich nichts Ungewöhnliches passiert war oder aber etwas sehr Ungewöhnliches, das sie jedoch geflissentlich ignorierte.
Was bedeutete, dass alles zum Besten stand oder aber eine Katastrophe drohte.
Später, als ich allein zu Abend aß, überlegte ich, was ich über die Adem alles wusste. Nacktheit war für sie kein Tabu, körperlicher Kontakt nichts besonders Intimes. Vashet war sowohl vor wie während und nach unserem Zusammensein völlig unbefangen gewesen.
Ich dachte an das nackte Pärchen, dem ich einige Tage zuvor zufällig begegnet war. Die beiden hatten sich erschreckt, waren aber nicht verlegen gewesen.
Die geschlechtliche Liebe besaß hier offenbar einen anderen Stellenwert. Genauere Unterschiede kannte ich allerdings nicht. Anders ausgedrückt, ich hatte keine Ahnung, wie ich mich richtig verhalten sollte. Was wiederum bedeutete, dass ich etwas sehr Gefährliches tat: Ich ging, oder besser gesagt rannte gleichsam mit verbundenen Augen durch die Gegend.
Wenn ich sonst Fragen zu den Adem hatte, stellte ich sie Vashet. Sie war mein Prüfstein. Doch durfte ich sie auf keinen Fall durch falsche Fragen kränken. Nur ihr guter Wille stand zwischen mir und dem Verlust meiner Finger.
Als ich mit dem Essen fertig war, hatte ich beschlossen, mich einfach Vashets Führung zu überlassen. Schließlich war sie meine Lehrerin.
Kapitel 117
Die Verschlagenheit des Barbaren
Die Tage vergingen schnell wie immer, wenn sie gut angefüllt sind. Ich hatte weiter Unterricht bei Vashet und tat alles, um ein gelehriger, aufmerksamer Schüler zu sein.
Auch unsere amourösen Abenteuer gingen in regelmäßigen Abständen weiter. Ich ergriff nie selbst die Initiative, aber Vashet spürte, wenn ich wieder einmal über Gebühr abgelenkt war, und zog mich dann rasch in die Büsche. »Damit du wieder klar denken kannst, du armer Barbar«, pflegte sie zu sagen.
Davor und danach war mir stets etwas beklommen zumute, doch während einer solchen Begegnung war ich keineswegs ängstlich. Auch Vashet schien daran Gefallen zu finden.
Davon abgesehen schien sie herzlich wenig an dem interessiert, was ich von Felurian gelernt hatte. Vom Efeuspiel wollte sie nichts wissen. Die Tausend Hände gefielen ihr zwar, doch hatte sie nicht die Geduld dazu, so dass wir gewöhnlich nicht über fünfundsiebzig Hände hinauskamen. Danach zog Vashet sich meist sofort wieder an, kaum dass wir zu Atem gekommen waren, und erinnerte mich daran, dass ich, wenn ich ständig vergaß, die Ferse nach außen zu drehen, nie fester zuschlagen konnte als ein Sechsjähriger.
Doch war ich nicht die ganze Zeit mit Vashet zusammen. Wenn sie zu tun hatte, musste ich den Ketan üben, über Lethani nachdenken oder den anderen Schülern bei ihren Übungskämpfen zusehen.
An einigen wenigen Nachmittagen schickte sie mich auch zu selbständigen Erkundungen los. Ich ging dann durch das Dorf und stellte fest, dass Haert viel größer war, als ich anfangs geglaubt hatte. Der Unterschied war, dass Häuser und Läden sich nicht an einer Stelle zusammendrängten, sondern über mehrere Quadratmeilen steiniger Landschaft verstreut lagen.
Die Bäder entdeckte ich schon früh. Anders ausgedrückt, Vashet hatte mich hingeschickt, um meinen barbarisch stinkenden Körper zu waschen.
Sie waren ein Wunder. Über einer natürlichen heißen Quelle oder einem raffinierten System von Rohrleitungen hatte man ein ausgedehntes steinernes Gebäude errichtet. Einige große Räume waren mit Wasser gefüllt, einige kleinere mit Dampf. Es gab Räume mit tiefen Becken, in denen man ganz untertauchen konnte, und Räume mit großen Wannen aus Messing, in denen man sich wusch. In einem Raum befand sich sogar ein großes Becken zum Schwimmen.
In den Bädern verkehrten Adem verschiedensten Alters und beiderlei Geschlechts in verschiedenen Stadien der Nacktheit. Das überraschte mich zwar weniger, als es noch vor einem Monat der Fall gewesen wäre, trotzdem musste ich mich erst mit einiger Mühe daran gewöhnen.
Anfangs musste ich mich zusammenreißen, dass ich nicht ständig die Brüste der nackten Frauen anstarrte. Nachdem dieser Reiz etwas abgeklungen war, erging es mir ähnlich mit den Narben auf den Körpern der Söldner. Man konnte einen Söldner leicht an ihnen erkennen, auch wenn er seine roten Kleider ausgezogen hatte.
Statt ständig aufpassen zu müssen, dass ich niemanden ungebührlich anstarrte, ging ich lieber frühmorgens oder spätabends baden, wenn es leer war. Man konnte die Bäder zu jeder Tages- und Nachtzeit nutzen. Die Tür besaß kein Schloss und sie hatten durchgehend geöffnet. Seife, Kerzen und Handtücher lagen dort immer bereit. Unterhalten wurden die Bäder laut Vashet von der Schule.
Die Schmiede fand ich, indem ich den Hammerschlägen folgte. Der Mann, der dort arbeitete, plauderte bereitwillig mit mir, zeigte mir seine Werkzeuge und sagte mir, wie sie auf Ademisch hießen.