Tegan sagte einen Moment lang nichts und sah ihn abschätzend an. „Wir müssen los“, bemerkte er dann ausdruckslos. „Die Frau ist in schlechter Verfassung. Dante wartet mit ihr im Wagen.“
Chase nickte und folgte dem Krieger aus dem Gebäude.
Dantes Puls raste noch immer vor Furcht und Wut. Er bettete Tess auf den Rücksitz des Rovers, deckte sie mit seiner Jacke zu, um sie warm zu halten, und hielt sie in seinen Armen. Er hatte sein T-Shirt ausgezogen und in Streifen gerissen, um die Wunde an ihrem Handgelenk und die erheblich ernstere Verletzung an ihrem Hals behelfsmäßig zu verbinden. Sie lag sehr still an seiner Brust und schien fast nichts zu wiegen. Er sah ihr ins Gesicht und war dankbar, dass der Angriff der Rogues nicht über die bereits zugefügten Qualen hinausging. Sie hatten sie weder vergewaltigt noch geschlagen und gefoltert, wie das für gewöhnlich ihrer kranken Art entsprach. Angesichts ihrer grausamen, animalischen Veranlagung war das ein seltener Glücksfall. Aber die Rogues hatten ihr Blut genommen – eine gewaltige Menge Blut. Wenn Dante sie nicht rechtzeitig gefunden hätte, wäre sie aller Wahrscheinlichkeit nach restlos ausgeblutet worden. Ihm schauderte bei der Vorstellung. Wie er sie so daliegen sah – bewusstlos, kalt und mit blassem Gesicht –, wusste er nur einen sicheren Weg, wie ihr zu helfen war. Sie brauchte dringend eine Bluttransfusion, um ihren Verlust wieder auszugleichen. Keine medizinische Transfusion, wie sie ihre menschlichen Schwestern bekommen hätten, sondern Blut von jemandem aus dem Stamm.
Er hatte den ersten Schritt ihrer Blutsverbindung bereits in jener Nacht erzwungen, als er ihr Blut nahm, um sich zu retten. Konnte er so gefühllos sein und diesen Bund jetzt endgültig besiegeln, ohne dass sie in der Lage war, das mit zu entscheiden? Die Alternative hieß zuzusehen, wie sie langsam in seinen Armen starb. Das war nicht akzeptabel, selbst wenn es bedeutete, dass sie ihn hassen würde für ein Leben, das sie an ihn band wie mit unzerstörbaren Ketten. Sie verdiente so viel mehr, als er ihr geben konnte.
„Scheiße, Tess. Es tut mir leid. Aber es ist die einzige Möglichkeit.“
Er fügte sich mit der rasiermesserscharfen Spitze seiner langen Fangzähne einen vertikalen Schnitt zu und legte sein Handgelenk an ihren Mund. Blut trat aus und lief als kleines Rinnsal seinen nackten Arm runter. Sacht hob er Tess’ Kopf an, um ihr sein Blut zu trinken zu geben, und registrierte nur nebenher die eiligen Schritte, die auf den Wagen zukamen.
Die Vordertüren öffneten sich, und Tegan und Chase stiegen ein. Tegan blickte nach hinten und sah die verletzte rechte Hand von Tess, die unter Dantes Jacke herausgerutscht war – die Hand, die das Mal mit der Träne und dem Halbmond trug. Die Augen des Kriegers verengten sich zu Schlitzen, dann sah er Dante an. In seinem Blick lag eine Frage, aber auch Vorsicht.
„Sie ist eine Stammesgefährtin.“
„Ich weiß, was sie ist“, antwortete Dante seinem Waffenbruder. Er versuchte gar nicht erst, die tiefe Besorgnis in seiner Stimme zu verbergen.
„Fahr, Tegan. Bring uns so schnell du kannst zum Anwesen.“
Der Krieger legte den Gang ein und gab Gas. Dante legte sein Handgelenk auf Tess’ leblose Lippen und sah zu, wie sein Blut langsam in ihren Mund rann.
Tess nahm an, dass sie starb. Sie fühlte sich schwerelos und bleiern zugleich, schwebte in einem Niemandsland zwischen dem Schmerz der einen und dem großen Unbekannten der anderen Welt. Der dunkle Sog dieser fernen, fremdartigen Welt zerrte an ihr, doch sie hatte keine Angst. Eine tröstende Wärme umhüllte sie, als hätten sich starke Engelsflügel um sie gelegt und hielten sie hoch empor, sodass die steigende Flut nur sanft an ihre Gliedmaßen plätscherte.
Sie überließ sich dieser warmen Umarmung. Sie brauchte diese beständige, ruhige Kraft.
Um sie herum waren Stimmen; ihr Klang tief und besorgt, doch Worte waren nicht zu unterscheiden. Ihr Körper vibrierte vom stetigen Brummen irgendeiner Bewegung unter ihr, und ein gelegentliches Schaukeln machte ihre Sinne ganz träge. Wurde sie irgendwo hingebracht? Sie war zu entkräftet, um sich Gedanken darüber zu machen, zufrieden ließ sie sich treiben in der schützenden Wärme, die sie umfing.
Sie wollte schlafen. Sich einfach auflösen und für immer schlafen …
Ein Tröpfchen von etwas Warmem benetzte ihre Lippen. Wie Seide glitt es langsam ihren Mund entlang, sein verlockender Duft stieg ihr in die Nase. Ein weiterer Tropfen fiel auf ihre Lippen – warm und nass und berauschend wie Wein –, und sie rührte ihre Zunge, um davon zu kosten.