Dort blieb er die ganze Nacht, die er zum Teil im Halbschlaf, aus dem ihn der Hunger immer wieder aufschreckte, verbrachte, zum Teil aber in Sorgen und undeutlichen Hoffnungen, die aber alle zu dem Schlusse f"uhrten, dass er sich vorl"aufig ruhig verhalten und durch Geduld und gr"osste R"ucksichtnahme der Familie die Unannehmlichkeiten ertr"aglich machen m"usse, die er ihr in seinem gegenw"artigen Zustand nun einmal zu verursachen gezwungen war.
Schon am fr"uhen Morgen, es war fast noch Nacht, hatte Gregor Gelegenheit, die Kraft seiner eben gefassten Entschl"usse zu pr"ufen, denn vom Vorzimmer her "offnete die Schwester, fast v"ollig angezogen, die T"ur und sah mit Spannung herein. Sie fand ihn nicht gleich, aber als sie ihn unter dem Kanapee bemerkte – Gott, er musste doch irgendwo sein, er hatte doch nicht wegfliegen k"onnen – erschrak sie so sehr, dass sie, ohne sich beherrschen zu k"onnen, die T"ur von aussen wieder zuschlug. Aber als bereue sie ihr Benehmen, "offnete sie die T"ur sofort wieder und trat, als sei sie bei einem Schwerkranken oder gar bei einem Fremden, auf den Fussspitzen herein. Gregor hatte den Kopf bis knapp zum Rande des Kanapees vorgeschoben und beobachtete sie. Ob sie wohl bemerken w"urde, dass er die Milch stehen gelassen hatte, und zwar keineswegs aus Mangel an Hunger, und ob sie eine andere Speise hereinbringen w"urde, die ihm besser entsprach? T"ate sie es nicht von selbst, er wollte lieber verhungern, als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem es ihn eigentlich ungeheuer dr"angte, unterm Kanapee vorzuschiessen, sich der Schwester zu F"ussen zu werfen und sie um irgendetwas Gutes zum Essen zu bitten. Aber die Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung den noch vollen Napf, aus dem nur ein wenig Milch ringsherum versch"uttet war, sie hob ihn gleich auf, zwar nicht mit den blossen H"anden, sondern mit einem Fetzen, und trug ihn hinaus. Gregor war "ausserst neugierig, was sie zum Ersatze bringen w"urde, und er machte sich die verschiedensten Gedanken dar"uber. Niemals aber h"atte er erraten k"onnen, was die Schwester in ihrer G"ute wirklich tat. Sie brachte ihm, um seinen Geschmack zu pr"ufen, eine ganze Auswahl, alles auf einer alten Zeitung ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes Gem"use; Knochen vom Nachtmahl her, die von festgewordener weisser Sauce umgeben waren; ein paar Rosinen und Mandeln; ein K"ase, den Gregor vor zwei Tagen f"ur ungeniessbar erkl"art hatte; ein trockenes Brot, ein mit Butter beschmiertes Brot und ein mit Butter beschmiertes und gesalzenes Brot. Ausserdem stellte sie zu dem allen noch den wahrscheinlich ein f"ur allemal f"ur Gregor bestimmten Napf, in den sie Wasser gegossen hatte. Und aus Zartgef"uhl, da sie wusste, dass Gregor vor ihr nicht essen w"urde, entfernte sie sich eiligst und drehte sogar den Schl"ussel um, damit nur Gregor merken k"onne, dass er es sich so behaglich machen d"urfe, wie er wolle. Gregors Beinchen schwirrten, als es jetzt zum Essen ging. Seine Wunden mussten "ubrigens auch schon vollst"andig geheilt sein, er f"uhlte keine Behinderung mehr, er staunte dar"uber und dachte daran, wie er vor mehr als einem Monat sich mit dem Messer ganz wenig in den Finger geschnitten, und wie ihm diese Wunde noch vorgestern genug wehgetan hatte. "Sollte ich jetzt weniger Feingef"uhl haben?" dachte er und saugte schon gierig an dem K"ase, zu dem es ihn vor allen anderen Speisen sofort und nachdr"ucklich gezogen hatte. Rasch hintereinander und mit vor Befriedigung tr"anenden Augen verzehrte er den K"ase, das Gem"use und die Sauce; die frischen Speisen dagegen schmeckten ihm nicht, er konnte nicht einmal ihren Geruch vertragen und schleppte sogar die Sachen, die er essen wollte, ein St"uckchen weiter weg. Er war schon l"angst mit allem fertig und lag nur noch faul auf der gleichen Stelle, als die Schwester zum Zeichen, dass er sich zur"uckziehen solle, langsam den Schl"ussel umdrehte. Das schreckte ihn sofort auf, trotzdem er schon fast schlummerte, und er eilte wieder unter das Kanapee. Aber es kostete ihn grosse Selbst"uberwindung, auch nur die kurze Zeit, w"ahrend welcher die Schwester im Zimmer war, unter dem Kanapee zu bleiben, denn von dem reichlichen Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet und er konnte dort in der Enge kaum atmen. Unter kleinen Erstickungsanfallen sah er mit etwas hervorgequollenen Augen zu, wie die nichtsahnende Schwester mit einem Besen nicht nur die "Uberbleibsel zusammenkehrte, sondern selbst die von Gregor gar nicht ber"uhrten Speisen, als seien also auch diese nicht mehr zu gebrauchen, und wie sie alles hastig in einen K"ubel sch"uttete, den sie mit einem Holzdeckel schloss, worauf sie alles hinaustrug. Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich schon Gregor unter dem Kanapee hervor und streckte und bl"ahte sich.