Deshalb war ich richtig aufgeregt, als ich eines Morgens wieder auf der Station für Brandverletzte erschien und die Ergebnisse meiner Experimente präsentierte, in der Hoffnung, damit auch die leidige Prozedur des Verbandwechsels für andere Patienten beeinflussen zu können. Es habe sich herausgestellt, erklärte ich den Schwestern und Ärzten, dass die Behandlungen (wie das Entfernen von Verbänden vor einem Bad) als weniger schmerzhaft empfunden werden, wenn sie mit weniger Intensität und langsam durchgeführt, als wenn sie rasch und dafür mit größerer Intensität vorgenommen werden. Mit anderen Worten: Ich hätte weniger gelitten, wenn sie die Verbände langsam abgenommen hätten statt mit ihrer Ruck-zuck-Methode.
Die Schwestern waren ehrlich überrascht von meinen Erkenntnissen und ich nicht weniger von dem, was meine Lieblingskrankenschwester Etty daraufhin sagte. Es habe ihnen wohl an Verständnis für die Situation gefehlt, räumte sie ein, und sie sollten ihre Vorgehensweise ändern. Doch man müsse bei einer Diskussion über dieses Thema auch berücksichtigen, wie sehr es den Schwestern psychisch zu schaffen mache, wenn ihre Patienten vor Schmerzen schrien. Dass sie die Verbände möglichst rasch abnehmen wollten, sei vielleicht verständlicher, meinte sie, wenn man berücksichtige, dass die Schwestern auf diese Weise ihre eigenen Qualen verkürzen würden (und ich sah es ihnen wirklich oft an, wie sehr sie mit mir litten). Am Ende waren wir jedoch alle der Meinung, dass eine andere Vorgehensweise besser wäre, und einige Schwestern folgten tatsächlich meinen Empfehlungen.
In größerem Rahmen wurden meine Empfehlungen in Sachen Verbandwechsel (soweit ich weiß) zwar nicht umgesetzt, aber die Geschichte hinterließ einen starken Eindruck bei mir. Wenn die Krankenschwestern trotz all ihrer Erfahrung das reale Erleben ihrer Patienten, um die sie sich so sehr sorgten, nicht richtig einschätzten, dann schätzen andere Menschen die Folgen ihres Verhaltens vielleicht ebenso falsch ein und treffen daraufhin falsche Entscheidungen. Ich beschloss, meine Forschung zum Thema Schmerz auf die Erforschung der Tatsache auszuweiten, dass Menschen immer wieder dieselben Fehler machen – ohne viel daraus zu lernen.
Und darum geht es in diesem Buch: um die vielfältigen Formen irrationalen Verhaltens. Die wissenschaftliche Disziplin, die es mir ermöglicht, mit diesem Thema herumzuspielen, nennt sich
Die Verhaltensökonomik ist ein relativ neues Gebiet, das sowohl Aspekte aus der Psychologie wie auch der Ökonomie einbezieht. Durch sie bin ich auf die unterschiedlichsten Themen gekommen: von unserer Abneigung, für das Alter Geld zurückzulegen, bis zu unserer Unfähigkeit, im Zustand sexueller Erregung klar zu denken. Doch ich versuche, nicht nur das Verhalten zu verstehen, sondern auch die Entscheidungsfindungsprozesse hinter diesem Verhalten – bei Ihnen, bei mir und bei allen anderen Menschen. Ehe ich näher darauf eingehe, möchte ich kurz erläutern, um was es bei der Verhaltensökonomik geht und wie sie sich von der herkömmlichen Ökonomie unterscheidet. Schlagen wir bei Shakespeare nach:
aus: Hamlet, II. Akt, 2. Szene
Die meisten Wirtschaftswissenschaftler, Entscheidungsträger und ganz normalen Menschen sehen die menschliche Natur so, wie sie dieses Zitat widerspiegelt. Natürlich ist diese Sicht größtenteils zutreffend. Unser Geist und unser Körper können Erstaunliches leisten. Jemand wirft uns aus einiger Entfernung einen Ball zu; wir berechnen blitzschnell seine Flugbahn und den Aufprallpunkt und bewegen dann unseren Körper und die Arme entsprechend, um ihn zu fangen. Wir lernen mit Leichtigkeit neue Sprachen, besonders als Kinder. Wir können Meister im Schachspiel werden. Wir erkennen Tausende von Gesichtern, ohne sie zu verwechseln. Wir schaffen Musik, Literatur, Technik und Kunst – und die Liste ließe sich noch endlos fortsetzen.