Ein brennendes Haus. Eine stattliche Villa. Groß und stolz, genau wie sein Vater gewesen war. Züngelnde Flammen, die auf und ab tanzten. Eine weitere Zeichnung aus größerem Abstand, die zeigte, wie sich die Einfahrt in geschwungener Linie von den mit Säulen eingefassten Toren bis zum Haus erstreckte. Deutlich war die in Messing gearbeitete und auf Hochglanz polierte Hausnummer
Es war das Haus, in dem Scott aufgewachsen war.
Das Haus, in dem seine Eltern verbrannt waren.
So heftig zitternd, dass er kaum noch Luft bekam, wandte sich Scott der letzten vermoderten Seite zu. Dort fand er eine Nachricht in sauberer gotischer Schrift, die schlicht und einfach besagte: Auge um Auge.
Trotz seiner Verwirrung und Benommenheit sah Scott jetzt rot, sein Entsetzen vermischte sich mit ungezügelter Wut.
Blutstropfen benetzten die aufgeschlagene Seite und bildeten dort kleine Kreise aus rötlichen Perlen. Als Scott eine Hand ans Kinn hob, stellte er fest, dass die kleine, erbsengroße Narbe wieder aufgeplatzt war und zu bluten angefangen hatte.
In diesem Moment schien sich der Deckel des Albums zu bewegen und sich in der Hand zu winden, die es festhielt. Aus dem Einband löste sich ein Knäuel aus Schnecken und schwarz glänzenden Käfern und glitschte über Scotts nackten Unterarm, so dass er zu Tode erschrocken aufschrie, das Buch zu Boden schleuderte und wie besinnungslos auf seinen Arm einschlug. Mühsam rappelte er sich hoch, stolperte im Dunkeln aber über eine Flasche und schlug lang hin, wobei sich irgendetwas Scharfes in seinen Oberschenkel grub. Ohne auf den Schmerz zu achten, stand er wieder auf und ging hastig, aber vorsichtig weiter.
Er musste hier raus. Musste zurück zu Kath.
Von jetzt an würde sie stets in Gefahr sein, sobald man sie allein ließ.
31
Als er ins Foyer stürmte und den verschlüsselten Notruf höchster Dringlichkeitsstufe für die Intensivstation hörte beherrschte ihn nur ein einziger Gedanke:
Die schweren Türen der Station gaben Scotts ausgestrecktem Arm nach. Der Krach beim Zuschlagen ging in dem zielgerichteten Kommen und Gehen, das sich auf Kaths Nische konzentrierte, fast unter. Eine Krankenschwester, deren blaue Augen gequält blickten, eilte mit einem Wägelchen, auf dem Mittel und Instrumente für den Notfall lagen, den Gang entlang. Ein bärtiger Techniker, der ein Beatmungsgerät hinter sich herzog, kam durch eine schmale Hintertür gestürmt. Von ihrem Stuhl vor dem Computer schoss eine junge Ärztin hoch und hastete unmittelbar vor der Schwester mit dem Wägelchen in Kaths Zimmer.
Und sie alle waren vollauf beschäftigt, jeder Einzelne von ihnen.
Scott raste so schnell durch den Gang, dass er die Krankenschwester, die ihr Wägelchen gerade ins Zimmer schieben wollte, anrempelte und am Ellbogen erwischte. Anstatt sich bei ihr zu entschuldigen, drängte er sich so stürmisch an ihr vorbei, dass er den Karren fast umgeworfen hätte, riss den Vorhang zur Seite ... und blieb, schrecklich verwirrt, wie angewurzelt stehen.
Denn es war nicht Kath, die im Bett lag, sondern eine alte Frau. In jeder sichtbaren Körperöffnung hatte sie Kanülen stecken. Am Bettrand kniete eine Schwester und versuchte, sie durch Herzmassage wiederzubeleben. Dabei zählte sie beim Drücken den Rhythmus so laut mit, dass ihre Worte, die wie irgendeine unheimliche Beschwörungslitanei klangen, den Lärm der Apparate und Summen übertönten:
Als die Assistenzärztin Scott am Ellbogen berührte, wirbelte er zu ihr herum. »Ihre Tochter ist von der Intensivstation verlegt worden, auf die Station mit Fernüberwachung«, erklärte sie mit hoher, durchdringender Stimme. »Wir haben ihr Bett gebraucht. Zu der Station geht's dort hinten.« Sie deutete auf die Wand am Ende der Intensivstation. »Bitte, Dr. Bowman, wir brauchen hier jeden Platz.«
»Ist sie ...?«
Die Assistenzärztin warf einen kurzen Blick auf die Schwester, die sich um die Wiederbelebung bemühte, und nickte dann. »Ihrer Tochter geht's gut. Wenn Sie jetzt bitte ...«