»Das wäre zuviel Glück«, sagte Rosen. »So was passiert nicht. Bei dem Nebel haben sie doch nicht zielen können. Vielleicht haben sie nur ein paar Baracken erwischt.«
»Wo ist Lewinsky?« fragte Lebenthal.
Berger sah sich um. »Ich weiß nicht. Vor ein paar Minuten war er noch hier. Weißt du es nicht, Meyerhof?«
»Nein. Ich will es auch gar nicht wissen.«
»Vielleicht ist er auskundschaften gegangen.«
Sie horchten weiter. Die Spannung wuchs. Vereinzelte Gewehrschüsse waren wieder hörbar.
»Vielleicht sind drüben Leute geflüchtet«, sagte Bucher. »Und sie jagen sie.«
»Hoffentlich nicht.«
Jeder wußte, daß man das gesamte Lager zum Appell rufen und stehenlassen würde, bis die Flüchtlinge tot oder lebendig eingebracht worden waren. Das würde viele Dutzende von Toten und die genaue Kontrolle aller Baracken bedeuten. Es war der Grund, weshalb Lewinsky Meyerhof angeschrieen hatte. »Warum sollten sie jetzt noch flüchten?« sagte Ahasver.
»Warum nicht?« fragte Meyerhof zurück. »Jeder Tag -«
»Sei ruhig«, unterbrach Berger ihn. »Du bist von den Toten auferstanden, das hat dich verrückt gemacht. Du glaubst, du bist Samson. Keine fünfhundert Meter weit würdest du kommen.«
»Vielleicht ist Lewinsky selbst ausgerissen. Er hat genug Grund. Mehr als jeder andere.«
»Quatsch! Er flieht nicht.«
Die Flak schwieg. In der Stille hörte man Kommandos und Laufen. »Sollen wir nicht lieber in der Baracke verschwinden?« fragte Lebenthal.
»Richtig.« Berger stand auf. »Alles von C in die Stube zurück. Goldstein, sieh zu, daß eure Leute sich weit genug hinten verstecken. Handke kommt sicher jeden Augenblick.«
»Sie haben die SS bestimmt nicht erwischt«, sagte Lebenthal. »Die Bande kommt immer durch.
Wahrscheinlich sind ein paar hundert von uns in Stücke zerrissen.«
»Vielleicht kommen die Amerikaner schon«, sagte jemand im Nebel.
»Vielleicht war das schon Artillerie!«
Einen Moment schwiegen alle. »Halt die Schnauze«, sagte Lebenthal dann ärgerlich.
»Beruf es nicht.«
»Los 'rein, wer noch kriechen kann. Es gibt sicher einen Appell.« Sie krochen in die Baracke zurück. Es gab wieder fast eine Panik. Viele hatten plötzlich Angst, daß andere, die schneller waren, ihnen ihre alten Plätze wegnehmen würden, besonders die, die ein Stück Bettbrett besaßen.
Sie schrieen mit heiseren, kraftlosen Stimmen und fielen und drängten vorwärts. Die Baracke war immer noch überfüllt, und Platz war für weniger als ein Drittel da. Ein Teil blieb trotz aller Rufe draußen liegen; er war durch die Erregung zu erschöpft, um noch zu kriechen. Die Panik hatte sie mit den anderen hinausgetrieben; jetzt aber konnten sie nicht mehr weiter. Die Veteranen zerrten einige bis zur Baracke; im Nebel sahen sie, daß zwei tot waren. Sie bluteten.
Schüsse hatten sie getötet.
»Vorsicht!« Sie hörten kräftigere Schritte als die der Muselmänner durch das weiße Wogen.
Die Schritte kamen näher und hielten vor der Baracke. Lewinsky blickte hinein.
»Berger«, flüsterte er. »Wo ist 509?«
»In zwanzig. Was ist los?«
»Komm mal 'raus.«
Berger ging zur Tür.
»509 braucht keine Angst mehr zu haben«, sagte Lewinsky rasch und abgerissen.
»Handke ist tot.«
»Tot? Durch eine Bombe?«
»Nein. Tot.«
»Wie ist das passiert? Hat die SS ihn im Nebel erwischt?«
»Wir haben ihn erwischt. Das ist genug, oder nicht? Die Hauptsache ist, daß er erledigt ist. Er war gefährlich. Der Nebel war günstig.« Lewinsky schwieg einen Moment. »Du wirst ihn ja sehen im Krematorium.«
»Wenn der Schuß zu nahe war, wird man Pulverspuren und Brandwunden sehen.«
»Es war kein Schuß. Zwei andere Bonzen sind auch noch erledigt worden im Nebel und Durcheinander. Zwei der Schlimmsten. Der von unserer Baracke ist dabei. Er hat zwei Leute verraten.«
Das Entwarnungssignal kam. Der Nebel wogte und zerriß. Es war, als hätten die Explosionen ihn zerfetzt. Ein Stück Blau fing an in ihm zu leuchten, dann wurde er silbern, und die Sonne dahinter füllte ihn mit weißem Glanz. Wie dunkle Schafotte begannen die MG-Türme daraus aufzusteigen.
Jemand kam. »Vorsicht«, flüsterte Berger. »Komm herein, Lewinsky! Versteck dich.«
Sie schlossen die Tür hinter sich. »Es ist nur einer«, sagte Lewinsky. »Keine Gefahr.
Sie kommen schon seit einer Woche nicht mehr einzeln. Haben zu viel Angst.«
Die Tür wurde behutsam geöffnet. »Ist Lewinsky da?« fragte jemand.
»Was willst du?«
»Komm rasch. Ich habe es hier.«
Lewinsky verschwand im Nebel.
Berger sah sich um. »Wo ist Lebenthal?«
»Zu zwanzig gegangen. Er will es 509 sagen.«
Lewinsky kam zurück. »Hast du gehört, was drüben passiert ist?« fragte Berger.
»Ja. Komm heraus.«
»Was ist?«
Lewinsky lächelte langsam. Sein Gesicht war naß vom Nebel und entfaltete »ich zu Zähnen, Augen und breiter, bebender Nase. »Ein Stück der SS-Kaserne ist eingestürzt«, sagte er. »Tote und Verwundete. Weiß noch nicht, wieviel. Baracke I hat Verluste. Das Waffendepot und die Kammer sind beschädigt worden.« Er blickte vorsichtig in den Nebel. »Wir müssen etwas verstecken.
Vielleicht nur bis heute abend. Wir haben etwas erwischt. Unsere Leute hatten wenig Zeit. Nur so lange, bis die SS wiederkam.«