Ausgeschlossen! Andererseits: Waffen konnte er nicht behalten, letzt fehlte einem doch das militärische Training. Sollte er das Koppel mit dem Revolver vorher abnehmen?
Er versuchte noch einmal einige Schritte. Nicht zu nah heran, natürlich. Einige Meter vorher halten.
»Herr General -«
Vielleicht auch: Herr Kamerad. Nein, nicht, wenn es ein General war. Aber vielleicht strammer Gruß und dann Händedruck. Kurz, korrekt. Kein Händeschütteln.
Schließlich: die Achtung des Feindes vor dem Feinde. Offizier zu Offizier. Kameraden eigentlich alle, im großen Sinne, wenn auch aus feindlichen Lagern. Man hatte verloren, nach tapferem Kampfe. Achtung dem ehrlichen Besiegten.
Neubauer fühlte den früheren Postsekretär in sich erbeben. Er spürte es wie einen historischen Augenblick. »Herr General «
Würdig. Danach Händedruck. Vielleicht ein kurzes Essen zusammen, wie man es gehört hatte von ritterlichen Gegnern. Rommel mit gefangenen Engländern. Schade, daß man nicht Englisch sprach.
Nun, es gab Übersetzer genug unter den Gefangenen im Lager.
Wie man sich in die alte Art, militärisch zu grüßen, rasch hineingewöhnte! Im Grunde war man ja nie fanatischer Nazi gewesen. Viel eher Beamter, treuer Beamter des Vaterlandes. Weber und ähnliche Leute, Dietz und seine Clique, das waren Nazis.
Neubauer holte sich eine Zigarre. »Romeo und Julia.« Besser, man rauchte sie auf.
Vier, fünf konnte man in der Kiste lassen. Eventuell dem Gegner präsentieren. Eine gute Zigarre überbrückte vieles.
Er tat ein paar Züge. Wenn die Gegner nun das Lager sehen wollten? Gut. Wenn ihnen etwas nicht paßte – er hatte nur auf Befehl gehandelt. Soldaten verstanden das.
Blutenden Herzens oft. Aber – Ihm fiel plötzlich etwas ein. Essen, gutes, reichliches Essen! Das war es! Danach sah man immer zuerst. Er mußte sofort anordnen, daß die Rationen erhöht würden.
Damit konnte er zeigen, daß er gleich, als er keine Befehle mehr hatte, alles für die Häftlinge getan hatte, was möglich war. Er würde es den beiden Lagerältesten sogar persönlich sagen. Das waren selbst Häftlinge. Die würden dann für ihn zeugen.
Steinbrenner stand vor Weber. Sein Gesicht glänzte vor Eifer. »Zwei Häftlinge beim Fluchtversuch erschossen«, meldete er. »Beides Kopfschüsse.«
Weber erhob sich langsam und setzte sich nachlässig auf die Ecke seines Tisches.
»Auf welche Entfernung?«
»Einen auf dreißig, den anderen auf vierzig Meter.«
»Wirklich?«
Steinbrenner wurde rot. Er hatte beide Häftlinge auf eine Entfernung von wenigen Metern erschossen – gerade weit genug entfernt, damit die Wunden keine Pulverränder zeigen konnten.
»Und es war ein Fluchtversuch?« fragte Weber »Zu Befehl.«
Beide wußten, daß es kein Fluchtversuch gewesen war. Es war nur der Name für ein beliebtes Spiel der SS. Man nahm die Mütze eines Sträflings, warf sie hinter sich und befahl ihm, sie wiederzuholen. Passierte er einen dabei, so erschoß man ihn von hinten wegen Fluchtversuchs. Der Schütze bekam dafür gewöhnlich einige Tage Urlaub.
»Willst du auf Urlaub?« fragte Weber. »Nein.«
»Warum nicht?«
»Das sähe aus, als wollte ich mich drücken.«