»Wie willst du den nehmen, Robert?« fragte einer der SS-Leute den Scharführer, der den ersten erschossen hatte. »Von hinten durch die Brust oder durch die Nase?«
Robert ging langsam um den Strampelnden herum. Einen Augenblick blieb er nachdenklich hinter ihm stehen; dann schoß er ihn schräg von der Seite durch den Kopf. Der Strampler bäumte sich auf, schlug ein paarmal mit den Schuhen schwer auf die Straße und fiel zurück. Langsam zog er ein Bein etwas an, streckte es aus, zog es wieder an, streckte es -»Den hast du nicht genau erwischt, Robert.«
»Doch«, erwiderte Robert gleichgültig, ohne den Kritiker anzusehen. »Das sind nur noch Nervenreflexe.«
»Schluß!« erklärte Steinbrenner. »Eure Zeit ist abgelaufen! Toresschluß!«
Die Wache begann die Tore tatsächlich langsam zu schließen. Ein Angstschrei stieg auf. »Nur nicht so drängeln, meine Herrschaften!« rief Steinbrenner mit leuchtenden Augen. »Einer nach dem anderen, bitte! Da soll noch jemand sagen, daß wir hier nicht beliebt sind!«
Drei Leute kamen nicht mehr weiter. Sie lagen in Abständen von einigen Metern auf der Straße.
Robert erledigte zwei in Ruhe durch Genickschüsse; der dritte aber folgte ihm mit dem Kopf. Er saß halb, und wenn Robert hinter ihn trat, drehte er sich nach ihm um und sah ihn an, als könne er den Schuß so aufhalten. Robert versuchte es zweimal; jedesmal brachte der andere es fertig, sich mit letzter Anstrengung so weit umzudrehen, daß er Robert ansah. Robert zuckte schließlich die Achseln. »Wie du willst«, sagte er und schoß ihm ins Gesicht.
Er steckte die Waffe weg. »Das macht gerade vierzig.«
»Vierzig, die du erledigt hast?« fragte Steinbrenner, der herangekommen war.
Robert nickte. »Auf diesem Transport.«
»Donnerwetter, du bist aber eine Nummer!« Steinbrenner starrte ihn voll Bewunderung und Neid an wie jemanden, der einen Rekord im Sport aufgestellt hat. Robert war nur ein paar Jahre älter als er. »Das nennt man Klasse!« Ein älterer Oberscharführer kam heran. »Ihr mit eurer Knallerei!« schimpfte er. »Jetzt wird es wieder neues Theater geben wegen der Papiere für die Erledigten. Die stellen sich hier ja damit an, als ob wir lauter Prinzen gebracht hätten, so genau.«
Drei Stunden, nachdem der Transport zur Personalaufnahme angetreten war, waren sechsunddreißig Leute umgefallen. Vier waren tot. Der Transport hatte seit morgens kein Wasser gehabt. Von Block sechs hatten zwei Häftlinge versucht, einen gefüllten Wassereimer heranzuschmuggeln, als die SS anderswo beschäftigt war. Man hatte sie gefaßt, und sie hingen jetzt mit verdrehten Gelenken an den Kreuzen neben dem Krematorium.
Die Personalaufnahme ging weiter. Zwei Stunden später waren sieben tot und über fünfzig lagen herum. Von sechs Uhr an ging es dann schneller; zwölf waren tot, und über achtzig lagen auf dem
Platz herum. Um sieben Uhr waren es hundertzwanzig, und es war nicht mehr festzustellen, wie viele tot waren. Die Bewußtlosen bewegten sich ebensowenig wie die Toten.
Um acht Uhr war die Personalaufnahme derer, die noch stehen konnten, beendet. Es war dunkel geworden, und der Himmel war voll silberner Schäferwolken. Die Arbeitskommandos rückten ein.
Sie hatten Überstunden gemacht, damit der Transport vorher erledigt werden konnte. Das Aufräumkommando hatte wieder Waffen gefunden. Es war das fünfte Mal, immer an derselben Stelle. Dieses Mal war ein Zettel dabei gewesen: Wir denken an euch. Sie wußten längst, daß es Arbeiter des Munitionswerkes waren, die nachts die Waffen für sie verbargen.
»Sieh dir das Durcheinander an«, flüsterte Werner. »Wir kommen durch.«
Lewinsky drückte ein flaches Päckchen gegen seine Rippen. »Schade, daß wir nicht mehr haben.
Länger als zwei Tage haben wir keine Chance mehr. Dann ist es vorbei mit dem Aufräumen.«
»Einrücken lassen!« kommandierte Weber. »Appell ist später.«
»Verdammt, warum haben wir keine Kanone bei uns?« murmelte Goldstein. »So ein Schweineglück!«
Sie marschierten zu den Baracken. »Die Neuen zur Desinfektion!« erklärte Weber.
»Wir wollen hier keinen Typhus und keine Krätze eingeschleppt kriegen. Wo ist der Kammerkapo?«
Der Kapo meldete sich. »Die Sachen dieser Leute müssen desinfiziert und entlaust werden«, sagte Weber. »Haben wir genug Ausrüstungen zum Wechseln?«
»Zu Befehl, Herr Sturmführer. Vor vier Wochen sind noch zweitausend gekommen.«
»Richtig.« Weber erinnerte sich. Die Kleider waren von Auschwitz hergeschickt worden. Man hatte in den Vernichtungslagern immer genug Sachen, um sie an andere Lager abzugeben. »Los, 'rein in den Bottich mit den Kerlen!«
Das Kommando erscholl. »Ausziehen! Zum Baden. Monturen und Wäsche nach hinten, Privatsachen vor euch legen!«
Ein Schwanken lief durch die dunklen Reihen. Das Kommando konnte Baden heißen; ebensogut aber auch Vergasen. In die Gaskammern der Vernichtungslager wurde man nackt, unter dem Vorwande, zu baden, geführt. Die Brausen strömten dann aber kein Wasser aus, sondern das tödliche Gas.
»Was sollen wir machen?« flüsterte der Häftling Sulzbacher seinem Nachbarn Rosen zu.
»Umfallen?«