Berger hatte hier unten Dienst. Er mußte Totenscheine ausschreiben und die Goldzähne der Toten ziehen. Der Mann, der das früher gemacht hatte, ein Zahntechniker aus Zwickau, war an Blutvergiftung gestorben. Der Kapo, der unten Aufsicht hatte, hieß Dreyer. Er kam einige Minuten später herein. »Los«, sagte er mißmutig und setzte sich an einen kleinen Tisch, auf dem Listen lagen. Außer Berger waren noch vier Mann vom Krematoriumskommando da. Sie postierten sich neben dem Schacht. Der erste Tote rutschte hindurch wie ein riesiger Käfer. Die vier Mann zerrten ihn über den Zementflur zur Mitte des Raumes. Er war schon starr. Sie zogen ihn rasch aus. Die Jacke mit der Nummer und den Abzeichen wurde abgestreift. Einer der Häftlinge hielt dabei den rechten Arm, der abstand, so lange herunter, bis der Ärmel abgezogen war. Dann ließ er los, und der Arm schnappte zurück wie ein Zweig. Die Hosen waren leichter abzustreifen. Der Kapo notierte die Nummer des Toten. »Ring?« fragte er. »Nein. Kein Ring.« »Zähne?« Er leuchtete mit einer Taschenlampe in den halboffenen Mund, auf dem ein dünner Streifen Blut getrocknet war. »Goldfüllung rechts«, sagte Berger. »Gut. 'raus.« Berger kniete mit der Zange neben dem Kopf nieder, den ein Häftling festhielt. Die anderen zogen bereits die nächste Leiche aus, riefen die Nummer und warfen die Kleider zur Seite auf die der ersten. Mit einem Krachen wie trockenes Feuerholz rutschten jetzt mehr und mehr Tote den Schacht hinunter. Sie fielen übereinander und verhakten sich ineinander. Einer kam mit den Füßen zuerst und blieb aufrecht stehen. Er lehnte gegen den Schacht, die Augen weit offen, den Mund schief verzogen. Die Hände waren krumm zu einer halben Faust geballt, und eine Medaille an einer Kette hing aus dem offenen Hemd hervor. Er stand eine Weile so. Polternd fielen andere Leichen über ihn hinab. Eine Frau mit halblangem Haar war darunter. Sie mußte aus dem Austauschlager sein. Ihr Kopf kam zuerst, und ihr Haar fiel über sein Gesicht. Schließlich, als sei er müde von so viel Tod auf seinen Schultern, rutschte er langsam zur Seite und sank um. Die Frau fiel über ihn. Dreyer sah es, grinste und leckte sich die Oberlippe, auf der ein dicker Pickel wuchs. Berger hatte inzwischen den Zahn herausgebrochen. Er wurde in einen von zwei Kästen gelegt. Der zweite war für Ringe. Dreyer verbuchte die Füllung. »Achtung!« rief plötzlich einer der Häftlinge. Die fünf Mann richteten sich stramm auf. Der SS-Scharführer Schulte war hereingekommen. »Weitermachen.« Schulte setzte sich rittlings auf einen Stuhl, der neben dem Tisch mit den Listen stand. Er betrachtete den Haufen Leichen. »Da sind ja acht Mann draußen beim Einwerfen«, sagte er. »Viel zu viele. Holt vier herunter; die können hier mithelfen. Du da -« er zeigte auf einen der Häftlinge. Berger zog den Trauring vom Finger einer Leiche. Das war gewöhnlich leicht; die Finger waren dünn. Der Ring wurde in den zweiten Kasten gelegt, und Dreyer notierte ihn. Die Leiche hatte keine Zähne. Schulte gähnte. Es war Vorschrift, daß die Leichen seziert und die Todesursache festgestellt und in die Akten eingetragen wurden; aber niemand kümmerte sich darum. Der Lagerarzt kam selten, er sah die Toten nie an, und es wurden immer dieselben Todesursachen eingetragen. Auch Westhof war an Herzschwäche gestorben.