»Ich bitte zu antworten«, sagte Tschanz entschlossen und beugte sich vor, doch blieb das Gesicht des Schriftstellers unerkennbar.
Bärlach war neugierig, wie nun wohl der Gefragte reagieren würde.
Der Schriftsteller blieb ruhig.
»Wann ist denn der Polizist getötet worden?« fragte er.
Dies sei vor Mitternacht gewesen, antwortete Tschanz.
Ob die Gesetze der Logik auch auf der Polizei Gültigkeit hätten, wisse er natürlich nicht, entgegnete der Schriftsteller, und er zweifle sehr daran, doch da er – wie die Polizei ja in ihrem Fleiß festgestellt hätte – um halb eins auf der Straße nach Schernelz dem Bannwart begegnet sei und sich demnach kaum zehn Minuten vorher von Gastmann verabschiedet haben müsse, könne Gastmann offenbar doch nicht gut der Mörder sein.
Tschanz wollte weiter wissen, ob noch andere Mitglieder der Gesellschaft um diese Zeit bei Gastmann gewesen seien.
Der Schriftsteller verneinte die Frage.
»Verabschiedete sich Schmied mit den andern?«
»Doktor Prantl pflegte sich stets als zweitletzter zu empfehlen«, antwortete der Schriftsteller nicht ohne Spott.
»Und als letzter?«
»Ich.«
Tschanz ließ nicht locker: »Waren beide Diener zugegen?«
»Ich weiß es nicht.«
Tschanz wollte wissen, warum nicht eine klare Antwort gegeben werden könne.
Er denke, die Antwort sei klar genug, schnauzte ihn der Schriftsteller an. Diener dieser Sorte pflegte er nie zu beachten.
Ob Gastmann ein guter Mensch oder ein schlechter sei, fragte Tschanz mit einer Art Verzweiflung und einer Hemmungslosigkeit, die den Kommissär wie auf glühenden Kohlen sitzen ließ. Wenn wir nicht in den nächsten Roman kommen, ist es das reinste Wunder, dachte er.
Der Schriftsteller blies Tschanz eine solche Rauchwolke ins Gesicht, daß der husten mußte, auch blieb es lange still im Zimmer, nicht einmal das Kind hörte man mehr schreien.
»Gastmann ist ein schlechter Mensch«, sagte endlich der Schriftsteller.
»Und trotzdem besuchen Sie ihn öfters, und nur, weil er gut kocht?« fragte Tschanz nach einem neuen Hustenanfall empört.
»Nur.«
»Das verstehe ich nicht.«
Der Schriftsteller lachte. Er sei eben auch eine Art Polizist, sagte er, aber ohne Macht, ohne Staat, ohne Gesetz und ohne Gefängnis hinter sich. Es sei auch
Tschanz schwieg verwirrt, und Bärlach sagte: »Ich verstehe«, und dann, nach einer Weile:
»Nun hat uns mein Untergebener Tschanz«, sagte der Kommissär, »mit seinem übertriebenen Eifer in einen Engpaß hineingetrieben, aus dem ich mich wohl kaum mehr werde herausfinden können, ohne Haare zu lassen. Aber die Jugend hat auch etwas Gutes, genießen wir den Vorteil, daß uns ein Ochse in seinem Ungestüm den Weg bahnte (Tschanz wurde bei diesen Worten des Kommissärs rot vor Ärger). Bleiben wir bei den Fragen und bei den Antworten, die nun in Gottes Namen gefallen sind. Fassen wir die Gelegenheit beim Schöpf. Wie denken Sie sich nun die Angelegenheit, mein Herr? Ist Gastmann fähig, als Mörder in Frage zu kommen?«
Im Zimmer war es dunkler geworden, doch fiel es dem Schriftsteller nicht ein, Licht zu machen. Er setzte sich in die Fensternische, so daß die beiden Polizisten wie Gefangene in einer Höhle saßen.
»Ich halte Gastmann zu jedem Verbrechen fähig«, kam es brutal vom Fenster her, mit einer Stimme, die nicht ohne Heimtücke war. »Doch bin ich überzeugt, daß er den Mord an Schmied nicht begangen hat.«
»Sie kennen Gastmann«, sagte Bärlach.
»Ich mache mir ein Bild von ihm«, sagte der Schriftsteller.
»Sie machen sich
»Was mich an ihm fasziniert, ist nicht so sehr seine Kochkunst, obgleich ich mich nicht so leicht für etwas anderes mehr begeistere, sondern die Möglichkeit eines Menschen, der nun wirklich ein Nihilist ist«, sagte der Schriftsteller. »Es ist immer atemberaubend, einem Schlagwort in Wirklichkeit zu begegnen.«
»Es ist vor allem immer atemberaubend, einem Schriftsteller zuzuhören«, sagte der Kommissär trocken.
»Vielleicht hat Gastmann mehr Gutes getan als wir drei zusammen, die wir hier in diesem schiefen Zimmer sitzen«, fuhr der Schriftsteller fort. »Wenn ich ihn schlecht nenne, so darum, weil er das Gute ebenso aus einer Laune, aus einem Einfall tut wie das Schlechte, welches ich ihm zutraue. Er wird nie das Böse tun, um etwas zu erreichen, wie andere ihre Verbrechen begehen, um Geld zu besitzen, eine Frau zu erobern oder Macht zu gewinnen, er wird es tun, wenn es sinnlos ist, vielleicht, denn bei ihm sind immer zwei Dinge möglich, das Schlechte und das Gute, und der Zufall entscheidet.«
»Sie folgern dies, als wäre es Mathematik«, entgegnete der Alte.
»Es ist auch Mathematik«, antwortete der Schriftsteller. »Man könnte sein Gegenteil im Bösen konstruieren, wie man eine geometrische Figur als Spiegelbild einer andern konstruiert, und ich bin sicher, daß es auch einen solchen Menschen gibt – irgendwo -, vielleicht werden Sie auch diesem begegnen. Begegnet man einem, begegnet man dem andern.«
»Das klingt wie ein Programm«, sagte der Alte,