Teile des Hydrats waren unter rosafarbenem Gewimmel verschwunden. Zuerst waren noch einzelne Leiber auszumachen. Dann wurde die Menge der sich windenden Körper unüberschaubar. Rosa Röhren mit weißen Büscheln krochen über— und untereinander her.
Einer der Männer am Pult stieß einen Laut des Widerwillens aus. Menschen sind so konditioniert, dachte Johanson. Wir gruseln uns vor allem, was kriecht, krabbelt und wimmelt, dabei ist es normal. Wir würden uns am meisten vor uns selber gruseln, wenn wir sehen könnten, wie sich Horden von Milben in unseren Poren bewegen und vom Talg ernähren, wie sich Millionen winziger Spinnentiere in unseren Matratzen breit machen und Milliarden Bakterien in unseren Gedärmen.
Trotzdem gefiel ihm nicht, was er sah. Die Bilder aus dem Mexikanischen Golf hatten ähnlich große Populationen gezeigt, aber die Tiere waren kleiner gewesen und hatten untätig in ihren Kuhlen gelebt. Diese hier wanden und schlängelten sich über das Eis, eine gewaltige zuckende Masse, die den Boden vollständig bedeckte.
»Zickzackkurs«, sagte Lund. Das ROV begann, in einer Art ausladendem Slalom zu schwimmen. Das Bild veränderte sich nicht. Würmer, wohin man sah. Plötzlich senkte sich der Boden ab. Der Pilot steuerte den Roboter weiter auf die Plateaukante zu. Selbst die acht starken Flutlichtspots erlaubten hier nur eine Sicht von wenigen Metern. Dennoch hatte es den Anschein, als bedeckten die Kreaturen den ganzen Hang. Johanson kam es vor, als seien sie noch größer als die Exemplare, die Lund ihm zur Untersuchung überlassen hatte. Im nächsten Moment wurde alles schwarz.
»Was war das?«, rief Lund.
»Position zurück.«
Das ROV flog eine Gegenkurve.
»Es ist weg.«
»Kreisbewegung!«
Das ROV hielt auf den Abhang zu. Nach wenigen Sekunden kam abschüssiges Gelände in Sicht. Einige Sedimentbrocken ragten daraus hervor, der Rest war bedeckt von rosa Leibern.
»Sie sind überall«, sagte Lund.
Johanson trat neben sie.
»Habt ihr eine Übersicht über die hiesigen Hydratvorkommen?« »Hier ist alles voller Methan. Hydrate, Gasblasen im Erdinnern, Gas, das austritt …« »Ich meine speziell das Eis an der Oberfläche.« Lund tippte etwas in die Tastatur ihres Terminals. Eine Karte des Meeresbodens erschien auf einem der Monitore. »Da, die hellen Flecken. Diese Vorkommen haben wir kartiert.«
»Kannst du mir
»Etwa hier.« Sie zeigte auf einen Bereich, der großflächige Verfärbungen aufwies.
»Gut. Steuert mal dorthin, schräg rüber.«
Lund gab dem Piloten Anweisungen. Die Scheinwerfer erfassten wieder Meeresboden, der frei von Würmern war. Nach einer Weile stieg das Gelände an, dann tauchte unmittelbar die Steilwand aus dem Dunkel auf.
»Höher«, sagte Lund. »Hübsch langsam.«
Schon nach wenigen Metern bot sich ihnen das gleiche Bild wie zuvor. Schlauchförmige rosa Körper mit weißen Borsten.
»Klassisch«, sagte Johanson.
»Was meinst du?«
»Wenn eure Karte stimmt, sind genau hier große Hydratausdehnungen. Sprich, Bakterien lagern auf dem Eis und setzen das Methan um, und die Würmer fressen die Bakterien.«
»Ist es auch klassisch, dass sie gleich zu Millionen anrücken?«
Er schüttelte den Kopf. Lund lehnte sich zurück.
»Na schön«, sagte sie zu dem Mann, der den Greifarm unter Kontrolle hatte. »Setzen wir
Es war zehn Uhr durch, als es an Johansons Kammer klopfte. Er öffnete. Lund kam herein und ließ sich in den kleinen Sessel fallen, der zusammen mit einem winzigen Tisch den besonderen Kabinenluxus darstellte.
»Meine Augen brennen«, sagte sie. »Alban hat für eine Weile übernommen.«
Ihr Blick fiel auf die Käseplatte und die geöffnete Flasche Bordeaux.
»Das hätte ich mir ja denken können.« Sie lachte. »Darum bist du eben abgehauen.«
Johanson hatte den Monitorraum vor einer halben Stunde verlassen, um alles vorzubereiten.
»Brie des Meaux, Taleggio, Munster, ein alter Ziegenkäse und etwas Fontina aus den piemontesischen Bergen«, stellte er die Käse der Reihe nach vor. »Baguette und Butter.«