EPILOG
AUS DEN CHRONIKEN VON SAMANTHA CROWE
15. August
Nichts ist mehr, wie es war.
Heute vor einem Jahr sank die
In den Morgenstunden habe ich Leon angerufen. Er war damals die Alternative Verbrennen, Ertrinken oder Erfrieren. Genau genommen verdanke ich ihm gleich zweimal mein Leben. Nachdem das Schiff gesunken war, hätte ich immer noch sterben können, bis auf die Knochen nass vom Eiswasser, mit einem gebrochenen Fußgelenk und ohne jede Hoffnung, dass uns jemand auffischt. Das Zodiac hatte eine Überlebensausrüstung an Bord, aber ich bezweifle, ob ich alleine damit klargekommen wäre. Unmittelbar nach dem Untergang der
Leon geht es gut. Karen und er sind derzeit in London. Wir haben über die Toten gesprochen. Über Sigur Johanson, der sein Haus im norwegischen Hinterland nicht mehr sehen konnte, über Sue Oliviera, Murray Shankar, Alicia Delaware und Greywolf. Leon vermisst seine Freunde, ganz besonders an einem Tag wie diesem. So sind wir Menschen. Auch um der Toten zu gedenken, brauchen wir Ankerpunkte der Trauer, damit wir den Schmerz hinterher in eine Kiste stecken und ein weiteres Jahr Zwischenlagern können, und wenn wir ihn das nächste Mal auspacken, stellen wir fest: Wir hatten ihn größer in Erinnerung. Dem Tod die Toten. Sehr schnell gingen wir zu den Lebenden über. Kürzlich habe ich Gerhard Bohrmann kennen gelernt. Ein angenehmer Zeitgenosse, ausgeglichen und entspannt. Ich weiß nicht, ob ich an seiner Stelle je wieder einen Fuß ins Wasser setzen würde, aber er vertritt die Auffassung, schlimmer als vor La Palma könne es nicht kommen. Also taucht er weiter, um sich ein Bild vom Zustand der Kontinentalabhänge zu verschaffen, und mittlerweile kann man ja auch wieder tauchen. Tatsächlich hörten die Angriffe unmittelbar nach dem Untergang der
Oder sollten wir besser sagen, er wurde ausgesetzt?
Nutzen wir unsere Chance?
Ich weiß es nicht. Langsam erholt sich Europa von den Folgen des Tsunamis. Die Seuchen im Osten Amerikas wüten immer noch, wenngleich sich ihre Wirkung abschwächt und eine Reihe neuer Immunstoffe beginnt, Wirkung zu zeigen. Das sind die guten Nachrichten. Demgegenüber befindet sich die Welt im Taumel der Irritation. Wie sollen wir an uns selbst gesunden angesichts des Scherbenhaufens, der von unserem Selbstverständnis geblieben ist? Die etablierten Religionen bleiben die Antwort schuldig, exemplarisch das Christentum: Adam und Eva, die Archetypen unseres Geschlechts, räumten schon vor langer Zeit das Feld für Bausteine der Biochemie. Die Kirche akzeptierte notgedrungen, dass Gott mit Proteinen und Aminosäuren begonnen hat. Damit ließ sich leben. Entscheidend war, dass Er