Eine Sendung der Württembergischen Metallwarenfabrik, die gleichzeitig angekommen ist, wird ebenfalls ausgepackt. Vier auffliegende Adler werden in einer Reihe nebeneinander auf den Boden gestellt, zwei aus Bronze und zwei aus Gußeisen. Sie sind da, um andere Kriegerdenkmäler zu krönen und die Jugend des Landes für einen neuen Krieg zu begeistern – denn, wie Major a. D. Wolkenstein so überzeugend erklärt: Einmal müssen wir schließlich doch gewinnen, und dann wehe den anderen! Vorläufig sehen die Adler allerdings nur wie riesige Hühner aus, die Eier legen wollen – doch das wird sich schon ändern, wenn sie erst oben auf den Denkmälern thronen. Auch Generäle wirken ohne Uniform leicht wie Heringsbändiger, und sogar Wolkenstein sieht in Zivil nur aus wie ein fetter Sportlehrer. Aufmachung und Distanz sind alles in unserem geliebten Vaterland.
Ich überwache, als Reklamechef, die Anordnung der Denkmäler. Sie sollen nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern freundliche Gruppen bilden und künstlerisch durch den Garten verteilt werden. Heinrich Kroll ist dagegen. Er hat lieber, wenn die Steine wie Soldaten ausgerichtet sind; alles andere erscheint ihm verweichlicht. Zum Glück wird er überstimmt. Auch seine Mutter ist gegen ihn. Sie ist eigentlich immer gegen ihn. Sie weiß heute noch nicht, wieso Heinrich ihr Kind ist und nicht das der Majorin a. D. Wolkenstein.
Der Tag ist blau und sehr schön. Der Himmel bauscht sich wie ein riesiges Seidenzelt über der Stadt. Die feuchte Kühle des Morgens hängt noch in den Kronen der Bäume. Die Vögel zwitschern, als gäbe es nur den beginnenden Sommer, die Nester und das junge Leben darin. Es geht sie nichts an, daß der Dollar wie ein häßlicher, schwammiger Pilz auf fünfzigtausend angeschwollen ist. Auch nicht, daß in der Morgenzeitung drei Selbstmorde gemeldet worden sind – alle von ehemaligen kleinen Rentnern; alle auf die Lieblingsart der Armen begangen: mit dem offenen Gashahn. Die Rentnerin Kubalke ist mit dem Kopf im Backofen ihres Herdes gefunden worden; der pensionierte Rechnungsrat Hopf frisch rasiert, in seinem letzten, tadellos gebürsteten, stark geflickten Anzug, vier wertlose rotgestempelte Tausendmarkscheine wie Einlaßbillette zum Himmel in der Hand; und die Witwe Glaß auf dem Flur ihrer Küche, ihr Sparkassenbuch, das eine Einlage von fünfzigtausend Mark zeigte, zerrissen neben sich. Die rotgestempelten Tausendmarkscheine Hopfs sind eine letzte Fahne der Hoffnung gewesen; seit langem bestand der Glaube, sie würden irgendwann einmal wieder aufgewertet werden. Woher das Gerücht kam, weiß kein Mensch. Nirgendwo auf ihnen steht, daß sie in Gold auszahlbar sind, und selbst wenn es dastünde: der Staat, dieser immune Betrüger, der selbst Billionen unterschlägt, aber jeden, der ihm nur fünf Mark veruntreut, einsperrt, würde schon einen Kniff finden, sie nicht auszuzahlen. Erst vorgestern hat in der Zeitung eine Erklärung gestanden, daß sie keine Vorzugsbehandlung genießen würden. Dafür steht heute die Todesanzeige Hopfs drin.
Aus der Werkstatt des Sargtischlers Wilke dringt Klopfen, als hause dort ein riesiger fröhlicher Specht. Wilkes Geschäft blüht; einen Sarg braucht schließlich jeder, sogar ein Selbstmörder – die Zeit der Massengräber und der Beerdigungen in Zeltbahnen ist seit dem Krieg vorbei. Man verfault wieder standesgemäß, in langsam morsch werdendem Holz, im Totenhemd oder im Frack ohne Rücken und im Totenkleid aus weißem Crêpe de Chine. Der Bäckermeister Niebuhr sogar im Schmuck aller seiner Orden und Vereinsabzeichen; seine Frau hat darauf bestanden. Auch eine Kopie der Vereinsfahne des Gesangvereins Eintracht hat sie ihm mitgegeben. Er war dort zweiter Tenor. Jeden Samstag brüllte er das»Schweigen im Walde«und»Stolz weht die Flagge schwarzweiß-rot«, trank genug Bier, um fast zu platzen, und ging dann nach Hause, seine Frau zu verprügeln. Ein aufrechter Mann, wie der Pastor am Grabe sagte.
Heinrich Kroll verschwindet zum Glück um zehn Uhr, mit Fahrrad und gestreifter Hose, um auf die Dörfer zu gehen. So viel frischer Granit macht sein Kaufmannsherz unruhig; er muß los, ihn an die trauernden Hinterbliebenen zu bringen.
Wir können uns jetzt freier entfalten. Zunächst machen wir eine Pause und werden von Frau Kroll mit Leberwurstbutterbroten und Kaffee erquickt. Lisa erscheint am Hoftor. Sie trägt ein knallrotes Seidenkleid. Die alte Frau Kroll verscheucht sie mit einem Blick. Sie kann Lisa nicht ausstehen, obschon sie keine Kirchenläuferin ist.
»Diese dreckige Schlampe«, erklärt sie zielsicher.
Georg fällt prompt darauf herein.»Dreckig? Wieso ist sie dreckig?«
»Sie ist dreckig, siehst du das nicht? Ungewaschen, aber einen Seidenfetzen darüber.«