»Dir ist klar, daß wir wahrscheinlich bei diesem Wahnsinnsunternehmen draufgehen werden«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
»Ich weiß. Und ich wußte auch, daß du es weißt.«
Skar fuhr überrascht herum. Es war nicht Del.
»Coar!« keuchte er. »Du . . .«
»Nicht.« Coar schüttelte hastig den Kopf, trat mit einem Schritt auf ihn zu und warf sich an seine Brust. »Ich . . . wollte noch einmal mit dir reden«, sagte sie leise. Ihre Stimme bebte, und obwohl sie den Kopf gesenkt hatte und er ihr Gesicht nicht sehen konnte, wußte er, daß sie weinte. Er hob die Hand, streichelte zögernd ihr Haar und umarmte sie. Ihr Körper fühlte sich mit einemmal seltsam zerbrechlich und leicht an. Verwundbar.
»Ihr geht fort«, sagte sie. Es war keine Frage.
»Ja«, antwortete er. »Es . . . muß sein. Wir können nicht hierbleiben. Wir hätten niemals kommen dürfen.«
Coar wollte etwas sagen, aber er preßte sie an sich und sprach rasch und gezwungen ruhig weiter. »Wir sind nicht die Männer, auf die ihr gewartet habt, Coar. Wir sind keine Götter, und wir sind auch keine Befreier. Wenn wir euch überhaupt etwas gebracht haben, dann Unglück.«
Ihr Schweigen traf ihn härter als alles andere zuvor. Lange, lange Zeit blieben sie reglos aneinandergeklammert so stehen, und jeder von ihnen fühlte sich unendlich einsam und allein. Skar wußte in diesem Moment mit absoluter Sicherheit, daß sie ihn liebte, trotz allem, was geschehen war, aber der Gedanke schürte seinen Schmerz noch mehr. Er löste seine Hände von ihrem Rücken, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und küßte ihr Gesicht. Es schmeckte salzig. Nach Tränen und Schmerz.
»Es tut mir so leid«, flüsterte er. »Ich würde mein eigenes Leben opfern, wenn ich Cornec damit helfen könnte.«
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte Coar mit erstaunlicher Ruhe. »Niemand ist schuld daran, Skar. Wenn überhaupt, so sind wir es selbst. Ich . . . ich habe Bernecs Ideen niemals zugestimmt, aber jetzt weiß ich, daß er recht hatte, die ganze Zeit.« Sie löste sich aus seiner Umarmung, trat einen Schritt zurück und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Er hat recht«, sagte sie noch einmal. »Wir können nicht mehr länger stillhalten. Wir haben jahrhundertelang gewartet und auf eine Zukunft gehofft, die niemals stattfinden wird.«
Skar schüttelte den Kopf. »Du bist verbittert, Coar«, sagte er. »Aber –«
»Ich bin nicht verbittert. Ich bin nur endlich aufgewacht, Skar. Bernec hat recht, hundertmal recht! Generation um Generation haben wir gehofft und gebetet, aber es ist nichts geschehen. Du hast Cearn einmal mit dem Paradies verglichen, aber das stimmt nicht. Es ist die Hölle. Eine Hölle, aus der es kein Entkommen gibt. Jedenfalls nicht, wenn man dasitzt und auf ein Wunder wartet. Wir werden handeln, und wenn Went oder ganz Cearn daran zugrunde gehen sollte, dann geht es eben zugrunde. Ich will nicht mehr warten. Mein Kind ist gestorben, und ich will nicht, daß noch mehr Kinder für eine Idee sterben, die vielleicht überhaupt nicht existiert. Du selbst hast bewiesen, daß die Nonakesh nicht so unbesiegbar ist, wie es scheint. Wir werden uns ihr stellen, Skar, und wir werden diesen Kampf gewinnen. Vieleicht werde ich seinen Ausgang nicht mehr erleben, aber wenn ich sterbe, dann wenigstens in dem Wissen, etwas getan zu haben. Vielleicht hast du recht, und die Welt dort draußen ist die Hölle, und Cearn der Himmel. Aber ich ziehe es vor, in der Hölle frei zu sein statt gefangen im Paradies.«
Er wußte, daß er jetzt antworten mußte, irgend etwas, ganz egal was, ihr widersprechen, sagen, daß sie sich täuschte, daß sie das, wofür sie zu kämpfen glaubte, zerstören würde.
Aber er konnte es nicht.
Weil er wußte, daß sie recht hatte.
De Pferde warteten am Westtor auf sie. Ein knappes Hundert Berittener hatte rechts und links des Pfades Aufstellung genommen und gab ihnen ein letztes, stummes Geleit. Die Sonne schien heißer als normal vom Himmel zu brennen, und als Skar nach Westen sah, glaubte er hinter dem Wald einen dünnen, safranbraunen Streifen zu erkennen, ein stummer Gruß der Nonakesh, die letzte Verbeugung vor dem Gegner, bevor der Kampf begann.
Ein leiser, langsam anschwellender Gesang wehte aus Went zu ihnen heraus, als sie sich in die Sättel schwangen und nacheinander durch das Tor ritten, der gleiche Gesang, den er schon einmal gehört hatte, als er an der Beerdigungszeremonie teilnahm. Er fror plötzlich.