»Aber es ist Wahnsinn, allein gegen Ipcearn zu ziehen! Seshar hat mindestens zweihundert Soldaten, und . . .«
»Hast du Angst?« unterbrach ihn Skar lächelnd.
Bernec schwieg eine ganze Weile. Auf seinen Zügen war der innere Kampf, den er durchstehen mußte, überdeutlich zu sehen.
»Nein«, sagte er. »Ich habe keine Angst. Aber es ist sinnlos, wenn ihr euch opfert, und es ist auch sinnlos, wenn ich dabei mitmache. Seshar kann sich keinen besseren Weg wünschen, mich loszuwerden.«
»Und du glaubst, darauf wäre er angewiesen, wie?« fragte Skar höhnisch. »Mir scheint, du hältst dich bereits für unersetzlich. Aber du bist nicht so wichtig, wie du denkst, Bernec. Du hast deinem Volk die Wahrheit gesagt, und ich will mich nicht mit dir darüber streiten, ob es zu diesem Zeitpunkt richtig war oder nicht. Es zählt jetzt nicht mehr, ob es dich gibt oder nicht. Du bist unwichtig, Bernec. Dein Volk wird sich so oder so gegen Seshar auflehnen. Das einzige, was du noch tun kannst, ist, dich zum ersten Mal in deinem Leben wie ein Mann zu benehmen und den Kampf, den du begonnen hast, allein zu Ende zu bringen. Vielleicht stirbst du dabei, aber dann sterben wir alle. Dein Volk wird trotzdem überleben.«
»Ihr . . . ihr verlangt von mir, daß«, stotterte Bernec, »daß ich...«
»Wir verlangen nicht mehr von dir, als wir von uns verlangen«, unterbrach ihn Skar. »Nicht mehr, als jeder Mann von selbst tun würde.« Er wußte, daß er gewonnen hatte. Bernec hatte den Moment, in dem er das Ruder noch hätte herumreißen können, verpaßt. Ihm blieb gar keine andere Wahl mehr, als auf Skars Vorschlag einzugehen, wenn er nicht vor all seinen Anhängern das Gesicht verlieren wollte.
»Gut«, sagte er mühsam. »Ich komme mit euch. Nur ich allein. Aber wenn wir nicht zurückkommen«, fügte er mit erhobener Stimme hinzu, »dann wird dieses Volk wie ein Mann aufstehen und Ipcearn vom Antlitz dieser Welt fegen!«
»Ihr Götter«, flüsterte Del so leise, daß nur Skar die Worte verstehen konnte.
»Gleich wird er sich vor die Brust schlagen und Asche auf sein Haupt streuen.«
Skar schüttelte unwillig den Kopf. »Still«, zischte er. »Verdirb nicht alles. Gib ihm wenigstens eine winzige Chance, heil davonzukommen.«
Del grinste und schwieg.
Bernec blieb noch einen Moment reglos auf seinem Podest stehen, als warte er auf irgend etwas. Schließlich wandte er sich um, sprang zum Boden herab und kam mit gezwungen ruhigen Schritten auf sie zu. Skar beugte sich vor, um ihm in den Sattel zu helfen. Bernec ignorierte seine Hand, schwang sich auf den Rücken des Tieres und riß unnötig hart und brutal an den Zügeln.
»Drei Tage!« rief er. »Wenn wir in drei Tagen nicht zurück sind, greift ihr an!«
Ein paar vereinzelte Stimmen riefen ihre Zustimmung, und jemand versuchte, einen Hochruf anzustimmen, brach aber sofort wieder ab.
Sie ritten los. Die Menge teilte sich vor ihnen und wich weiter zurück, als nötig gewesen wäre. Eine beklemmende, unwirkliche Stimmung schien die Stadt erfaßt zu haben, ein Schweigen, das ihnen wie ein unsichtbarer, finsterer Hauch selbst dann noch folgte, als sie hintereinander durch das Tor ritten und in den Wald eindrangen.
Skar fühlte sich mit einemmal unendlich müde. Er hätte erleichtert oder zumindest zufrieden sein müssen, aber er spürte nichts davon. Es gab keinen Grund, auf seinen Sieg über Bernec stolz zu sein. Wenn es überhaupt ein Sieg gewesen war. Sie galoppierten in scharfem Tempo nach Westen. Coar hatte frische, ausgeruhte Pferde herausgesucht, so daß sie rasch vorankamen, ohne größere Pausen einlegen zu müssen. Gegen Mitternacht rasteten sie an einem der unzähligen kleinen Tümpel, die überall im Wald von Cearn verstreut waren, tränkten ihre Pferde und aßen, mehr aus Gewohnheit und um nicht untätig herumsitzen und schweigen zu müssen, als aus Hunger, brachen aber schon nach wenigen Minuten wieder auf, um weiterzureiten. Der Weg kam Skar verändert vor. Er war ihn schon dreimal gegangen, aber diesmal schien alles anders, fremd und ablehnend. Eine seltsame Stimmung des Abschiednehmens ergriff ihn. Er spürte, daß es das letzte Mal sein würde. Er würde nicht mehr nach Went zurückkehren, ganz gleich, was geschah. Als die Sonne aufging, waren sie nur noch wenig mehr als eine Meile von Ipcearn entfernt. Sie hatten auf dem gesamten Weg nicht einen Menschen getroffen, weder einen Waldläufer noch einen von Seshars Soldaten, aber Skar schob dies auf die Tatsache, daß Bernec den Wald kannte und die sicher vorhandenen Patrouillen umgangen hatte.
Sie stiegen ab, ließen ihre Tiere frei laufen und nahmen das letzte Stück des Weges zu Fuß in Angriff. Graue Dämmerung durchwob den Wald mit Schatten und verwirrenden Lichteffekten, und über dem Boden lag ein dünner, halbdurchsichtiger Nebelschleier, der das Geräusch ihrer Schritte dämpfte und die Unwirklichkeit des Augenblicks vertiefte.