Seshar schüttelte traurig den Kopf. »Nach Urc?« fragte er. »Du willst Urcöun sehen, Bernec? Dann komm – ich zeige es dir.«
Bernec schien für einen Moment sprachlos vor Verblüffung. »Du . . . du willst . . . was?« keuchte er.
»Wenn es wirklich dein Wunsch ist, so bringe ich dich nach Urcöun«, murmelte Seshar tonlos. »Doch ich warne dich noch einmal – es ist nicht immer gut, alles zu wissen.«
»Du bist verrückt!« keuchte Bernec. »Du bist verrückt, wenn du glaubst, daß ich mit dir gehe und mich dort draußen in der Wüste umbringen lasse!«
Auf Seshars Zügen erschien ein seltsam weicher, verzeihender Ausdruck. Er sah Bernec mit einem undefinierbaren Blick an, trat einen Schritt vom Tisch zurück und klatschte in die Hände.
In den vorher scheinbar fugenlosen Wänden entstanden plötzlich eine Reihe mannshoher, flacher Nischen, und ein Dutzend Soldaten, jeder mit einer schweren, gespannten Armbrust bewaffnet, trat in den Raum.
»Glaubst du wirklich, ich hätte das nötig?« fragte Seshar sanft.
Skar erstarrte. Er stand in Seshars Nähe, und vielleicht wäre es ihm gelungen, mit einem blitzschnellen Satz über den Tisch zu flanken und den alten König als Schutzschild an sich zu reißen –aber wahrscheinlicher war, daß er vorher von einem halben Dutzend Armbrustbolzen durchbohrt würde.
»Steckt eure Waffen weg«, verlangte Seshar ruhig. »Ihr braucht sie nicht.«
Skar blickte verblüfft auf das Schwert in seiner Hand, dann auf die Soldaten.
»Ihr könnt sie behalten«, bestätigte Seshar. »Aber steckt sie weg. Bitte.«
Skar zögerte noch eine halbe Sekunde und schob das
»Du siehst«, fuhr Seshar, an Bernec gewandt, fort, »daß ich es nicht nötig hätte, euch in eine Falle zu locken. Ich will dich nicht töten, Bernec, weder dich noch Coar oder die beiden Satai. Außer, ihr zwingt mich dazu.« Er drehte sich um, gab den Wachen einen Wink. »Ihr könnt gehen«, sagte er. »Ich brauche euch nicht mehr.«
Die Männer wandten. sich stumm ab und verließen den Raum. Seshar wartete, bis sie allein waren, trat dann um den Tisch herum und legte Bernec die Hand auf die Schulter.
»Ich verlange nicht, daß du mir plötzlich vertraust«, sagte er. »Aber ich möchte dein Ehrenwort, daß du mit deiner Entscheidung wartest, bis wir in Urcöun waren. Wenn du mich hinterher immer noch töten und Ipcearn niederbrennen willst, so tu es.«
Bernec schlug seine Hand wütend beiseite. »Das ist doch nur wieder ein neuer Trick!« sagte er trotzig. Aber seine Stimme schwankte, und Skar spürte deutlich, daß sein Selbstvertrauen tief erschüttert war und er im Grunde nichts mehr als Verwirrung empfand.
»Und du, Skar?« fragte Seshar. »Glaubst du auch, daß es nur ein Trick ist?«
Skar zuckte unschlüssig die Achseln. »So, wie die Dinge liegen, spielt es keine Rolle, was ich glaube«, antwortete er ausweichend. »Aber Ihr habt mich schon einmal belogen.«
»Ich weiß«, murmelte Seshar. »Und es tut mir leid. Hätte ich gewußt, wie alles kommen würde, hätte ich es nicht getan. Aber auch ein König macht Fehler.«
»Wenn . . . dein Angebot auch für uns gilt«, sagte er stockend, »so nehmen wir es an.«
»Und du, Coar?«
Coar nickte wortlos. Sie hatte noch keinen Laut von sich gegeben, seit sie den Raum betreten hatte, und selbst jetzt schien es ihr schwerzufallen, auf Seshars Frage zu reagieren.
»Jetzt liegt es an dir, Bernec«, sagte Seshar.
Bernec wand sich wie unter Schmerzen. »Ich . . . ich weiß einfach nicht, was ich noch glauben soll«, sagte er schließlich. Von dem Haß und der Wut in seiner Stimme war nichts mehr geblieben. Er war jetzt nur noch ein großes, verängstigtes Kind, das zu begreifen begann, daß es einen schrecklichen Fehler begangen hat und sich mit aller Kraft gegen diesen Gedanken zu wehren versucht.
»Dann komm«, sagte Seshar. »Wir haben einen weiten Weg vor uns. Und uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Sie ritten zwei Stunden in scharfem Tempo nach Süden, über schritten die Grenzen Cearns und drangen mit unverminderter Geschwindigkeit in die Wüste vor. Skar verspürte ein aberwitziges Gefühl der Heimkehr, als sie aus dem Wald hinaussprengten und die sanft gewellte Unendlichkeit der Nonakesh wieder vor ihnen lag. Es war heiß, noch heißer als sonst. Der Himmel hatte eine bleigraue, abweisende Färbung angenommen, und der Wind schien mit unzähligen spitzen Krallen auf ihre Körper einzuschlagen, als biete die Wüste noch einmal alle Kräfte auf, um die schon sicher geglaubte Beute nicht noch im letzten Moment entkommen zu lassen. Die Nonakesh hatte sie nie wirklich losgelassen, das spürte er. Etwas von ihrer schweigenden Präsenz war die ganze Zeit über in ihm gewesen und hatte, ohne daß er sich dessen bewußt geworden wäre, sein Denken und Handeln beeinflußt.