Skar setzte sich ebenfalls auf, lehnte sich gegen die Wand und betrachtete das halbe Dutzend Gardistinnen aus zusammengekniffenen Augen. Die Mädchen unterhielten sich leise, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, und ab und zu warf eine von ihnen einen hastigen, verstohlenen Blick zu ihm hinüber. Sie hatten ihre Rüstungen abgelegt und trugen nur noch dünne, sackähnliche Gewänder, und obwohl die meisten Verbände um Arme, Beine oder Köpfe trugen, erinnerte jetzt weder ihr Aussehen noch ihr Benehmen daran, daß diese Kinder noch vor wenigen Stunden in voller Rüstung durch den Wald gesprengt und einen Kampf auf Leben und Tod ausgefochten hatten.
Larynn kam zu ihm hinüber, ließ sich neben ihm auf die Bank sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ihr Kleid raschelte, und als Skar genau hinsah, fiel ihm auf, daß der Stoff ganz gegen seinen ersten Eindruck fein und anschmiegsam wie Seide war. Das dünne Material spannte sich um ihre Schultern und ließ ihre kleinen, mädchenhaften Brüste deutlich hervortreten. Wie lange, dachte er, war es her, daß er das letzte Mal eine Frau gehabt hatte? Er ertappte sich plötzlich dabei, daß er sie anstarrte, und senkte verlegen den Blick. Larynn lächelte, aber sie besaß Takt genug, die Situation zu überspielen. »Du warst bei Logar?«
Skar nickte. »Man merkt es wohl«, sagte er hastig.
»Logar ist ein seltsamer Mann«, nickte Larynn. »Er macht sich einen Spaß daraus, Fremden einen Schrecken einzujagen. Ich glaube, er spielt gerne den Geheimnisvollen. Urteile nicht vorschnell über ihn. Er mag manchmal seltsam erscheinen, aber er ist gerecht.«
»Er ist noch sehr jung, für einen Mann in seiner Position.«
»So alt wie Del – schätze ich«, erwiderte Larynn. Sie nahm die Arme herunter, zog die Beine unter den Körper und legte die Hände dicht nebeneinander auf die Oberschenkel. Vom kleinen Finger ihrer linken Hand fehlte das letzte Glied. Aber es war eine sehr alte Wunde, die sauber vernarbt war. »Hier bei uns zählt ein Mann nach dem, was er leistet. Ist das bei euch anders?«
Skar glaubte, eine leichte Spur von Spott in ihrer Stimme zu vernehmen, aber als er in ihr Gesicht sah, erkannte er nichts außer Neugierde.
Er lächelte. »Manchmal schon«, gestand er. »Aber hier bei euch ist vieles anders als da, wo ich herkomme.« Er unterdrückte ein Gähnen, ließ den Kopf gegen die Wand sinken und schloß die Augen. Die Müdigkeit kehrte nun mit Macht zurück, und diesmal wehrte er sich nicht dagegen. In seinen Gliedern breitete sich eine wohltuende, bleierne Schwere aus.
»Wie ist es dort, wo du herkommst?« fragte Larynn.
»Wo ich herkomme?«
»Deine Heimat. Deine Stadt.«
Skar zuckte die Achseln. »Heimat . . .«, murmelte er. »Ich habe keine . . . Heimat.«
Larynn runzelte verwirrt die Stirn. »Aber jeder Mensch hat irgendeinen Ort, an den er gehört.«
»Mag sein«, gestand Skar. »Aber Del und ich sind Satai. Wir . . . wir leben nicht an einem bestimmten Ort. Manchmal bleiben wir eine Zeit, wenn es uns irgendwo gefällt, aber meist ziehen wir durch das Land, ohne länger als ein paar Tage an einem bestimmten Ort zu bleiben.«
»Und dieses Leben macht euch Spaß?«
»Warum nicht?« sagte Skar. »Es bringt auf jeden Fall Abwechslung.«
»Und Gefahren.«
»Natürlich.« Er schwieg für einen Moment, konnte sich aber die Spitze nicht verkneifen, zu sagen: »Zumindest gibt es dort, wo wir herkommen, keine Hoger.«
Thorandas Rückkehr bewahrte sie davor zu antworten. Die Heilerin kniete erneut neben Skar nieder und reichte ihm eine Schale mit einer farblosen, scharf riechenden Flüssigkeit.
»Was ist das?«
»Ein Tee aus Kräutern und Moos«, antwortete Thoranda. »Trink. Er wird dich müde machen und deinem Körper die Kraft zurückgeben, die er verbraucht hat.«
Skar schob die Schale von sich weg und schüttelte den Kopf.
»Zuerst möchte ich Del sehen.«
»Trink trotzdem«, beharrte Thoranda. »Der Trank wirkt nicht sofort. Ich führe dich zu deinem Freund.«
Skar zögerte noch einen Moment, setzte dann die Schale an die Lippen und trank mit kleinen, vorsichtigen Schlucken. Trotz ihres scharfen Geruches schmeckte die Flüssigkeit mild und angenehm, und er spürte beinahe augenblicklich, wie sich ein wohltuendes Gefühl der Wärme in seinem Magen ausbreitete. Er leerte die Schale bis auf einen winzigen Rest und stellte sie neben sich auf den Boden. Dann stand er auf und sah die Heilerin auffordernd an.
Thoranda wandte sich um und forderte ihn mit einer stummen Geste auf, ihr zu folgen. Auch Larynn erhob sich und ging hinter ihm und der Heilerin her. Sie durchquerten den Raum und stiegen über eine breite Treppe nach oben. Thoranda begleitete ihn bis zu einer kleinen, dunklen Kammer dicht unter dem Dach des Gebäudes und deutete wortlos auf den Eingang.