Larynn löste sich aus der Gruppe und kam mit feder Schritten auf ihn zu. »Skar«, sagte sie. In ihrer Stimme schien was wie ehrliche Freude mitzuschwingen. »Wir haben bereut dich gewartet. Das«, sie deutete mit einer flüchtigen Geste an Frau, mit der sie geredet hatte, »ist Thoranda. Unsere Hei Sie wird sich um deine Wunden kümmern.«
»Das habe ich schon ein paarmal gehört, heute mor knurrte Skar gereizt. Er wußte, daß Larynn es nur gut meinte aber zu der Erschöpfung und der Müdigkeit kamen nun noch Ungeduld und Verwirrung hinzu. Auf der einen Seite er jetzt weniger als zuvor, ob sie den nächsten Tag noch er leben würden und auf vier anderen Seite würde er umheet und eel sehen, aber dieses ständige Hin und Her war beinahe mehr, als er in seinem momentanen Zustand verkraften zu können glaubte. »Der Kratzer heilt schon von selbst«, fuhr er übellaunig fort. »Was mich im Moment mehr interessiert, ist Del. Wie geht es ihm? Wird er überleben?«
»Er wird leben«, antwortete Thoranda an Larynns Stelle. Sie hatte eine dunkle, rauchige Stimme, die so gar nicht zu ihrem graugewordenen Haar und dem schmalen Gesicht passen wollte, das mit Falten und unzähligen winzigen, wie mit einem dünnen Messer in die Haut gegrabenen Runzeln bedeckt war. Die Stimme einer jungen Frau, dachte Skar verblüfft. Es war, als hätte sich ihre Stimme geweigert, im gleichen Maße wie ihr Körper zu altern.
»Er wird leben«, sagte sie noch einmal, »und wenn er ein wenig Glück hat, wird er sogar seinen Arm wieder bewegen können. Du solltest zu euren Göttern beten, wenn ihr welche habt. Habt ihr Götter?«
Skar nickte verwirrt. »Nein«, sagte er, »das heißt – ich glaube nicht an sie. Del tut es.«
Thoranda lächelte, aber die Augen in ihrem schmalen Gesicht blieben ernst. »So bete für deinen Freund, Skar. Auch meiner Kunst sind Grenzen gesetzt.«
Skar betrachtete die Heilerin genauer. Ein dumpfes Gefühl, sich falsch und dumm benommen zu haben, ergriff von ihm Besitz. Die Herren Wents mochten über ihr Schicksal entscheiden, wie sie wollten – für diese Frau waren Del und er nichts als zwei Menschen, die krank waren und Hilfe benötigten. Er senkte verlegen den Blick und fingerte unschlüssig an der leeren Schwertscheide herum. Lag es an seiner Erschöpfung, an all dem Neuen und Überraschenden, das auf ihn eingestürmt war, oder einfach an Thoranda, an der fast greifbaren Selbstsicherheit und Güte, die diese alte Frau ausstrahlte, daß mehr und mehr in ihm das Gefühl wuchs, den Boden unter den Füßen zu verlieren?
Thoranda berührte ihn sanft an der Schulter, schob seinen Arm beiseite und besah sich stirnrunzelnd den Riß über seinen Rippen. »Leg den Harnisch ab«, sagte sie bestimmt. Etwas war in ihrer Stimme, das keinen Widerspruch duldete. Skar löste die ledernen Halteriemen um Nacken und Hüfte, beugte sich leicht nach vorne und bewegte die Schultern, um den schweren Lederpanzer abzustreifen. Thoranda besah sich den Schnitt mit unbewegtem Gesicht, tastete mit geschickten Fingern über die Wundränder und verschwand dann mit schnellen Schritten im Hintergrund des Raumes, um gleich darauf mit einer hölzernen Schale voll Wasser und einem sauberen Tuchstreifen über dem Arm zurückzukehren.
»Setz dich dorthin«, sagte sie mit einer Kopfbewegung zu einer hölzernen Bank neben dem Eingang. Skar gehorchte, und Thoranda machte sich routiniert an seiner Wunde zu schaffen. Skar zuckte zusammen, als ein scharfer Schmerz wie ein winziges Messer unter seine Rippen und bis in die Schulter hinauffuhr. Thoranda wusch die Wunde sorgfältig aus und legte einen straffen, mit einer kühlenden Salbe beschmierten Verband um seine Brust. Ihre Hände waren erstaunlich kräftig, aber sie fügten ihm nur soviel Schmerz zu, wie unumgänglich war. Skar wollte aufstehen, aber die Heilerin schob ihn mit sanfter Gewalt auf den Sitz zurück und schüttelte den Kopf. »Bleib«, sagte sie ruhig. »Ich gehe rasch ein paar Kräuter holen. Danach kannst du ruhen, wenn du möchtest.«
Skar nickte. Thoranda hockte dicht vor ihm, und obwohl er in der dämmerigen Beleuchtung des Raumes ihr Gesicht nicht deutlich zu erkennen vermochte, war er plötzlich sicher, daß sie früher einmal eine sehr schöne Frau gewesen sein mußte. Ihr Haar war, obwohl grau und von ersten weißen Strähnen durchzogen, noch immer dicht und lang und verströmte einen angenehmen, harzigen Geruch, und ihre Bewegungen waren trotz ihres Alters noch flüssig und elegant. Sie stand auf, wusch sich flüchtig die Hände und verließ dann rasch den Raum.