Читаем Der wandernde Wald полностью

Vor ihnen erstreckte sich die Unendlichkeit der Nonakesh, ein gigantisches sandiges Meer, in dem Cearn nicht mehr als eine winzige verlorene Insel war. Zum ersten Mal, seit er die Nonakesh betreten hatte, glaubte er zu begreifen, wie gewaltig diese Einöde aus erstarrtem Schweigen und schwarzen Schatten wirklich sein mußte. Mit einemmal brachte er der Wüste eine völlig neue Art von Empfindung entgegen. Er hatte geglaubt, allen Arten von Gefühlen nacheinander durchgestanden zu haben – Wut, Haß, Verachtung, aber jetzt empfand er nur noch Ehrfurcht. Plötzlich begriff er, daß selbst die Nonakesh ihren festen Platz in der Schöpfung hatte, daß ihr Vorhandensein nicht Zufall, sondern geplant war. Wenn es so etwas wie einen Gott, eine übergeordnete Macht, die die Geschicke dieser Welt und der Menschen lenkte, die auf ihr lebten, wirklich gab, so hatte sie die Nonakesh mit Bedacht erschaffen. Ihre Bestimmung war Einsamkeit, Einsamkeit und Schweigen, ein gigantischer Hort der Leere, einzig dazu bestimmt, groß zu sein.

Coar berührte sanft seine Hand und deutete auf eine zweite, höhere Düne, die weit vor ihnen durch die Wüste schnitt, ein dunkler Schatten, der sich von den Dünen dahinter einzig durch seine Regelmäßigkeit unterschied und sich rechts und links, einer sanften Krümmung folgend, in der Nacht verlor. Er sah genauer hin und erkannte jetzt, daß das Gelände dazwischen nicht eigentlich Wüste war. Der Boden war mit Staub und Flugsand bedeckt, aber dazwischen ragten dünne, dunkle Stöcke in die Luft. Im ersten Moment mußte er an den abgestorbenen Wald denken, den sie auf der anderen Seite Cearns gefunden hatten, aber er erkannte rasch, daß er es mit dem genauen Gegenteil zu tun hatte. Die Bäume hier waren nicht tot, sondern jung. Ein raffiniertes System von Bewässerungskanälen durchbrach die Düne und überzog den Boden vor ihnen mit einem Labyrinth dunkler, glitzender Linien, die – obwohl es angesichts der Zahl der Setzlinge unmöglich schien – jeden einzelnen Baum erreichten und mit dem lebensnotwendigen Wasser versorgten. Die Anzahl der Bäume mochte in die Tausende gehen, allein auf dem Stück, das er übersehen konnte, und doch war jeder einzelne sorgsam mit Netzen und kleinen Erdwällen gegen Sand und Hitze geschützt. Und langsam, ganz langsam nur, begann Skar zu begreifen, was er hier sah. Der Wald wuchs. Nicht nur in Höhe und Dichte, sondern auch in seiner Ausdehnung. So, wie die Wüste am entgegengesetzten Ende Cearns ein Stück des verlorenen Bodens zurückerobert hatte, so hatte hier der Wald, unterstützt von den Menschen, denen er Heimstatt und Feste zugleich war, einen schmalen Streifen Wüstenbodens an sich gerissen und begann ihn langsam zu verändern. Und plötzlich begriff er auch, was Coar vorhin gemeint hatte, als sie sagte, Cearn hätte damals noch nicht existiert: nicht an diesem Ort und nicht in dieser Form. Dieser Wald war nicht statisch. Die Cearner hatten ihn verändert, hatten die einzige Möglichkeit erkannt, die tödlichen Weiten der Nonakesh zu durchqueren. Wo die Umwelt ein normales Überleben nicht gestattete, mußte man sie verändern oder – wo dies nicht ging – ein Stück seiner normalen Welt mitnehmen. Und so war Cearn zu einer gigantischen, wandernden Insel geworden, einer riesigen Oase, die sich mit dem von der Natur vorgegebenen Tempo ihres Wachstumes durch die Wüste vorwärts bewegte, hundert Meter in zehn Jahren, eine Meile in zwei Generationen. Mit einemmal ergab alles einen Sinn – der tote Wald, ein Stück Gelände, das der Wüste zurückgegeben worden war, um durch einen ebenso breiten Streifen diesseits Cearns ersetzt zu werden, die Schneisen, die sich in regelmäßigen Abständen durch den Wald zogen, die Orte markierend, an denen vorher die Dünen den Ansturm der Wüste gebremst hatten, der seltsam regelmäßige und manchmal parkähnliche Charakter des Waldes.

Ihr Götter! dachte er. Dieserganze Wald bewegt sich! Cearn ist keine Oase, sondern ein ungeheuerliches, lebendes Wesen, das sich durch diese Wüste bewegt und seine Bewohner zurückbringt, wo sie einst hergekommen sind!

Ein tiefes, vibrierendes Summen begann sich plötzlich aus der Reihe der Cearner zu erheben, ein Ton, der auf eigentümliche Weise zu der stummen Majestät der Wüste vor ihnen paßte, ihr Schweigen bestätigte, statt es zu durchbrechen, nicht Protest, sondern Huldigung, die Huldigung einer Macht, gegen die man zwar kämpfen, aber niemals siegen konnte. Der Ton wurde lauter, schwoll zu einem mächtigen, dröhnenden Rauschen an und verklang, um wenige Augenblicke später erneut einzusetzen.

Dann begann der Gesang.

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