Und das tat es wohl auch, dachte Skar, halb betäubt vor Überraschung und ehrfürchtigem Staunen. Er hatte gewußt, daß dieses Volk ein intensives Verhältnis zur Natur und dem Wald hatte, aber erst jetzt begriff er wirklich, wie stark das Band war, wie sehr diese Menschen mit Cearn und Cearn mit ihnen verbunden sein mußten. Coar bewegte sich, flankiert von den Fackelträgern und begleitet von dumpfem, auf- und abschwellendem Gesang und dem pochenden Rhythmus der unsichtbaren Trommeln, wenige Schritte nach Norden und kniete erneut nieder. Wieder bildeten die Fackelträger einen weiten, nach einer Seite hin offenen Kreis um sie herum, und wieder begann sie mit bloßen Fingern im Boden zu graben, um die Zeremonie zu wiederholen, die Seele des zweiten Mädchens dem Boden und dem Wald anheimzugeben. Sie bettete den Samen, den sie dem Körper des getöteten Mädchens entnommen hatte, im Boden, goß Wasser darüber und stand auf, um mit raschem Schritt zu ihrem Platz auf dem Hügelkamm zurückzugehen. Die Fackeln erloschen. Noch einmal erhob sich Gesang, leiser und andächtiger diesmal, ein letzter Abschied, die letzte Ehrung, die die Cearner ihren gefallenen Kriegern zollten, dann wandten sie sich wie auf ein unhörbares Kommando hin um und gingen, jeder für sich und keinem geordneten Plan folgend, zu den wartenden Pferden zurück. Die Feier war vorüber. Sie war kurz gewesen, viel kürzer und einfacher als manch andere, der Skar beigewohnt hatte, aber trotzdem hatte sie ihn mehr berührt als jemals ein ähnliches Ereignis zuvor. Skar stieg schweigend in den Sattel und drängte sein Tier mit sanftem Schenkeldruck herum. Das Pferd schnaubte, warf nervös den Kopf in den Nacken und scharrte mit den Vorderhufen im weichen Boden. Skar blinzelte unwillkürlich nach oben, aber der Himmel über dem Wald war leer.
Die Prozession begann auf dem gleichen Weg zurückzureiten, den sie gekommen war. Skar nahm wieder seine Position neben Coar ein, aber die Kommandantin wirkte seltsam ruhig und abweisend, so daß er nicht versuchte, ein Gespräch anzufangen.
Ein einzelner Reiter löste sich vom hinteren Ende der Kolonne und sprengte auf sie zu. Bernec. Skar erkannte ihn sofort wieder, obwohl er seine Rüstung abgelegt hatte und nur mehr ein einfaches, von einem schmalen silbernen Gürtel zusammengehaltenes Gewand und knielange Stiefel trug. Seltsamerweise wirkte er ohne seine martialische Aufmachung beinahe eindrucksvoller als zuvor. Er war nur wenig älter als Coar, aber größer und breitschultriger, und die Art, in der er auf seinem Pferd saß, ließ in Skar fast so etwas wie Neid aufkommen. Er zügelte sein Tier dicht neben ihnen, musterte Skar mit einem Blick, in dem angefangen von Mißtrauen über Verlegenheit und widerwillige Bewunderung bis hin zu beinahe kindlichem Trotz alle nur denkbaren Empfindungen vertreten zu sein schienen, und sagte dann ein paar Worte zu Coar.
Die Kommandantin antwortete nach kurzem Zögern. Ihre Worte klangen scharf, aber auf ihren Zügen lag ein verzeihendes Lächeln. Sie deutete ein paarmal auf Skar, dann auf sich und dann noch einmal auf Skar und unterstrich die Bewegung mit einem knappen befehlenden Wort. Bernec starrte sie wütend an, machte ein unwilliges Geräusch und grinste abfällig und in einer Art, in der man nur lacht, wenn man jemanden verletzen will.
Skar schwieg beharrlich, obwohl er genau spürte, daß Bernec auf irgendeine Äußerung von ihm wartete. Seine offen zur Schau getragene Ruhe schien Bernec noch mehr zu reizen. Er starrte ihn sekundenlang wütend an, stieß ein abgehacktes Wort hervor und riß sein Pferd brutal an den Zügeln herum.
Coar blickte ihm kopfschüttelnd nach. »Verzeih ihm, Skar«, sagte sie leise. »Er ist manchmal sehr aufbrausend, aber er meint es nicht so.«
Skar lächelte säuerlich. »Ich habe sowieso nichts verstanden«, bekannte er. »Und was ich nicht verstehe, kann mich auch nicht beleidigen. Außerdem beginne ich mich langsam daran zu gewöhnen, daß man über mich redet. Auch«, fügte er spitz hinzu, »wenn ich zufälligerweise dabei bin.«
Coar lachte leise. »Bernec spricht deine Sprache besser als ich«, sagte sie amüsiert.
»Aber ich sehe, daß er sein Ziel erreicht hat, als er Cerano sprach. Er wollte dich verletzen.«
»Und warum?« fragte Skar. »Ich meine . . . so dann und wann interessiert es mich, wenigstens zu wissen, warum man mich haßt.«
»Bernec haßt dich nicht, Skar. Ich glaube nicht, daß er überhaupt fähig ist, jemanden wirklich zu hassen. Er ist verstimmt, das ist alles.«
»Wegen der Szene am Tor?«